„Ich bin ein mündiger Mensch“
Ich habe am 10. März – vor Bekanntgabe des Lockdowns! – schon die Nachricht erhalten, dass auf Geheiß des Bundesministeriums alle Veranstaltungen bis 31. 8. abgesagt werden. Die Auswirkung auf mein Unternehmen: Mehr als 40.000 Euro vertraglich gesicherter Umsatz sind einfach weg, und es existiert keine Perspektive, die Arbeit in Schulen, Universitäten, Bildungseinrichtungen im In- und Ausland wie gewohnt mit Workshops und Lehrgängen wieder aufnehmen zu können. Ich gehe davon aus, dass frühestens im nächsten Jahr wieder regelmäßige Einnahmen möglich sind. Wenn es für die Notwendigkeit der Maßnahmen Fakten geben würde, wäre meine Akzeptanz hoch, doch diese fehlen bis jetzt. Ich bin hin und her gerissen zwischen massiver existentieller Bedrohung und privaten Lichtblicken. Wenn ein Teil einer Gesellschaft von derart massiven Beschränkungen betroffen ist und ein anderer nicht, rührt das an den Grundfesten und ruft Solidarität auf den Plan.
Niemand solle dadurch leer ausgehen, das verbreiteten die Regierung und die Medien. Die Zustimmung der Bevölkerung war enorm, doch meine Erfahrungen decken sich nicht mit dem, was versprochen wurde. Ich habe mit meinem Unternehmen wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um aus irgendeinem Fond oder Hilfspaket Unterstützung zu erhalten und habe bis dato noch keine Entschädigungen bekommen, trotz Totalausfall. Mehr als 100 Stunden Formulare ausgefüllt, Kurzarbeit eingereicht, den viel beworbenen Unternehmenskredit habe ich schon vor 5 Wochen beantragt, ohne Reaktion. Wenn sich das, was man immer wieder hört und liest, so gar nicht bewahrheitet, wird es unglaubwürdig und fragwürdig und existentiell immer bedrohlicher! Wären wir in meinem Unternehmen nicht so breit aufgestellt und kreativ, würden wir auch zu denen gehören, die heute überlegen müssten Konkurs anzumelden. Wir haben kurzfristig Wege gefunden, die uns ein wenig helfen, aber auch diese wenigen neuen Einnahmen werden schon bald wegfallen. Onlineseminare für Lehrkräfte sind wieder out, wenn die Schule irgendwie wieder losgeht.
Was mir noch immer Kraft verleiht? Unsere erwachsenen Kinder, mein Partner, dass ich bald “Oma” werde, meine Kreativität, unser Garten, Freund*innen, Kolleg*innen und Nachbarn, die WIRKLICH wissen wollen, wie es mir geht. Es gibt mir Kraft, mich zu trauen, mit Fakten und unpopulären Fragen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich mache den Mund auf. Es gibt mir Kraft, innere Stärke zu spüren und zur eigenen Meinung zu stehen, auch wenn ich erlebe, wie schnell man "dem rechten Lager” oder "der Wirtschaft” zugeordnet wird, obwohl ich mich immer für Soziales usw. eingesetzt habe. Ich bin kein Untertan, ich bin ein mündiger Mensch. Und dieser Mensch und diese Unternehmerin bleibe ich, auch in schwierigen Zeiten!
Der Beitrag von Sissi Kaiser wurde für die Reportage gekürzt. Die ungekürzte Fassung finden Sie auf https://www.sissikaiser.com/covid-19-und-wir/ mit der Möglichkeit für Betroffene, an einer gemeinsamen Aktion und Pressekampagne mitzumachen. |