Menschen sollen nicht "Glück haben müssen"!
„Auf die Frage wie es mir geht, würde ich grundsätzlich mit: ‚Ganz gut!‘ antworten. Es kann allerdings sein, dass ich zwei Stunden später auf dieselbe Frage mit Tränen reagieren würde“. Mit diesen Worten beschreibt die 44jährige selbstständige Unternehmerin ihre gegenwärtige Stimmung.
Als Beraterin, Vortragende, Lehrende und Leiterin von Gruppenkursen hat sie das Corona Virus quasi „von hinten überrollt“. Von einem Tag auf den anderen brach das gesamte Arbeitsfeld weg. „Außer dem Absagen von Kursen und Terminen war schlagartig nichts mehr los“, meint die Ernährungswissenschaftlerin.
Die Menschen sind sehr unterschiedlich von der Krise betroffen. Für die einen ist das Wegbrechen der Einnahmen aus dem selbstständigen Unternehmen gleichzeitig auch ein vollkommender Wegfall des Einkommens. Über Jahre aufgebaute Arbeitsfelder und Kontakte sind in kürzester Zeit zusammengebrochen. Der Ernährungswissenschaftlerin ist bewusst, dass sie in all der Unsicherheit noch Glück hat. So beschreibt sie ihre Situation folgendermaßen: „Voller Dankbarkeit und Demut, dass ich vorher gut verdient habe und finanziell abgesichert bin, geht es mir mit dieser Situation dennoch nicht gut. Wäre ich jetzt selbständig und alleinerziehend, wäre das eine richtige Tragödie. Wenn ich mich schon hilflos und alleingelassen fühle, obwohl ich quasi „Glück habe“, was macht dies dann mit Selbständigen, die in ein großes finanzielles Loch fallen?
Die wahre Tragödie ist daher für mich, dass wir „Glück haben müssen“. Es darf meiner Meinung nach aber nicht vom Glück abhängen, ob ein Mensch die Krise gut übersteht oder eben nicht. Vielleicht wäre die Regelung 80 bzw. 90 % des Gehaltes bei Kurzarbeit zu überdenken und an das Haushaltseinkommen abzustimmen? Könnte es eine Obergrenze geben? Sodass genug für alle – egal ob angestellt oder selbständig – da wäre?“ überlegt die Unternehmerin.
Wie für viele ihrer KollegInnen ist die Ungewissheit eine Herausforderung. Die Fragen: „Wie geht es weiter und wann kann der normale Arbeitsalltag wieder beginnen?“, klären sich nur langsam. Hoffnung wächst durch die Tatsache, dass inzwischen Einzelberatungen wieder mit Gesichtsschutz und mit Abstand möglich sind. Die Ernährungswissenschaftlerin versucht derzeit ONLINE Kurse anzubieten. „Ich lerne mit der Tatsache, dass es derzeit wenige Anmeldungen gibt, täglich neu umzugehen. Aber trotz dieser Rückschläge bleibt das Wissen, dass ich meine Arbeit liebe und auch wieder andere Zeiten kommen werden.“ Davon ist sie überzeugt.
„Was mich in dieser ungewöhnlichen Zeit trägt, ist etwas ganz tief in mir. Ich weiß nicht, woher es kommt und ich kann es nicht beschreiben. Ich kann nur spüren, dass es für mich ‚ein Aufgeben‘ nicht gibt. Das ist einfach so und ich kann nicht sagen, woher diese Kraft kommt. Dies ist keine Leistung von mir, diese ‚Stärke‘ ist einfach da. Dieses Geschenk der Zuversicht ist nicht mein Verdienst.“
Als besonders hilfreich erlebt sie in diesen Wochen die eigene Familie und vor allem ihren Mann.
„Aber so richtig bei mir bin ich, wenn ich mit meinem Hund im Wald jogge und dabei meinen Atem spüre“, erzählt sie.