Was ist prekäre Arbeit?
Kennzeichen prekärer Arbeit
- Flexibilisierung auf Kosten der Freizeit
- Niedriges, nicht kontinuierliches Einkommen
- Unkalkulierbare Dauer des Arbeitsverhältnisses
- Ungenügender sozialer Schutz
- Mangelnde Einbindung und Mitbestimmung
Strukturwandel führt zu mehr atypischen Beschäftigungen
Im Zuge des Strukturwandels von der Sachgütererzeugung zum Dienstleistungsbereich gehen Arbeitsplätze vor allem in handwerklichen Berufen in schrumpfenden Branchen und bei der Bedienung von Maschinen und Anlagen in der industriellen Fertigung verloren. Von den Beschäftigungszuwächsen sind besonders die dienstleitungsorientierten Bereiche begünstigt, in denen Frauen sehr häufig beschäftigt sind. Dies sind aber zugleich auch Bereiche, in denen atypische Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeitsplätze oder Geringfügige Beschäftigungen eine große Bedeutung haben. (Q: Ulrike Huemer / Helmut Mahringer: Beschäftigungsprognose für OÖ bis 2010. In: WISO Nr. 2/06 S. 147).
Die atypischen Beschäftigungsformen haben in den Jahren 2000 bis 2007 stark zugenommen (siehe Grafik), Tendenz weiterhin steigend.
Prekarität ist die Summe verschiedener Faktoren
Atypische Beschäftigungsformen, aber auch Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse können, müssen aber nicht prekär sein. Prekarität lässt sich nicht einfach messen. Sie ist vielmehr die Summe verschiedener Faktoren:
Faktor Zeit |
flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse (z. B. Überstunden, Wochenendarbeit, Zeitdruck) auf Kosten der ArbeitnehmerInnen, ungewisse Dauer der Beschäftigung |
Faktor Geld |
nicht existenzsicherndes und/oder unregelmäßiges Einkommen |
Faktor Recht |
kein bzw. nicht ausreichender sozialrechtlicher Schutz (bei Unfall, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit) keine arbeitsrechtliche Absicherung |
Faktor Mitbestimmung |
mangelhafte Einbindung (z. B. betriebliche Weiterbildung, Aufstiegs- und Karrierechancen) und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Betrieb |
Je nach Art der atypischen Beschäftigungsform können diese Faktoren in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen und negative Auswirkungen auf die finanzielle Lage, die familiäre Situation, die soziale Sicherheit, die Gesundheit und längerfristig auf Familiengründung und Alterssicherung der atypisch Beschäftigten haben.
Prekarisierung als Prozess der Disziplinierung
Der Prozess, der sich derzeit im Zuge des Strukturwandels von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft vollzieht, wird auch manchmal als „Prekarisierung“ bezeichnet, um auszudrücken, dass etwas mit vielen Menschen geschieht, worauf sie selbst wenig Einfluss haben. Deshalb kann „Prekarisierung“ auch als „der Versuch der Herrschenden verstanden werden, durch Entsicherung und Deklassierung von Personengruppen die Disziplinierung aller, also auch der nicht von prekären Lebensbedingungen Betroffenen, zu erreichen.“ (Q: Redak V., Weber B., Wöhl S.: Prekarisierung und kritische Gesellschaftstheorie. In: Kurswechsel 1/2008, S.4)
Als atypische Beschäftigungsformen können bezeichnet werden:
- Teilzeit
- Geringfügige Beschäftigung
- Leih- bzw. Zeitarbeit
- Freie Dienstverhältnisse
- Neue Selbständige und Ein-Personen-Unternehmen (EPU´s)
- Beschäftigung als Praktikant/in
Auch Vollzeitarbeit kann zu prekären Lebensbedingungen führen: „Working poor “
Arm trotz Arbeit bzw. die Notwendigkeit mehreren Beschäftigungen nachzugehen, um ein (vielleicht trotzdem nicht) ausreichendes Einkommen zu erzielen, ist immer häufiger anzutreffen. Von den knapp 3,4 Millionen Erwerbstätigen im Erwerbsalter sind in Österreich rund 230.000 (= 7 %) armutsgefährdet und damit so genannte „working poor“.
Working poor: „All jene Personen, die aktuell erwerbstätig und zwischen 20 und
64 Jahre alt sind und deren Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungs-
schwelle liegt.“ (2006: € 893,-- 12 x, netto, Einpersonenhaushalt). Q.: EU-SILC
2006, Statistik Austria.
Maßnahmen gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen
Bruttomindestlohn von 1.000,-- Euro!
ÖGB und Wirtschaftskammer haben sich im Rahmen einer Grundsatzvereinbarung auf 1.000,-- Euro Mindestlohn geeinigt. Dieses Projekt soll in Form von Kollektivvertragsverhandlungen schrittweise bis 2009 umgesetzt werden.
Trotz ganzjähriger Vollzeitarbeit verdienten im Jahr 2006 in Oberösterreich noch immer rund 16.100 ArbeiterInnen und Angestellte (d. s. 5,3 %) weniger als 1.000,-- Euro brutto monatlich (14 Mal pro Jahr).
Weitere, schon vielfach diskutierte Maßnahmen gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und Armut wären u. a.:
- Bedarforientierte Mindestsicherung
- Bedingungsloses Grundeinkommen
Der „Flexicurity“-Ansatz der EU
Angesichts der Zunahme der atypischen/prekären Beschäftigungsformen stellt sich die Frage: Welches Ziel sollen wir verfolgen? Ist es nach wie vor der Kampf um die Vollbeschäftigung?
In der Europäischen Union versucht man eine Lösung im „Flexicurity“-Ansatz zu finden. Dabei geht es darum, der höheren „Flexibilisierung“ eine höhere „Sicherheit“ gegenüber zu stellen. Das Ziel ist von der Sicherung des Arbeitsplatzes (durch verstärkte Arbeitsschutzgesetze) abzugehen und durch die Sicherung des Einkommens und der Beschäftigungsmöglichkeiten des Einzelnen (durch aktive Arbeitsmarktmaßnahmen) zu ersetzen. Die Europäische Kommission hat dazu Prinzipien formuliert, die als Basis für die Handhabung von „Flexicurity“ in den Mitgliedsstaaten dienen sollen. Es geht darum, dass einerseits Unternehmer unrentable und nicht mehr benötigte Arbeitsplätze rasch wegrationalisieren können und andererseits die ArbeitnehmerInnen bei Kündigung oder Verlust des Arbeitsplatzes mit finanziellen Sicherungen durch die öffentlichen Haushalte über einen längeren Zeitraum bei großer Einkommenssicherheit einen neuen, besseren Arbeitsplatz suchen oder sich für höherwertige Tätigkeiten qualifizieren können. Offen bleiben in den EU-Prinzipien, wie von sozialen NGOs kritisch angemerkt wird, z. B. die Fragen von verträglichen und voraussehbaren Arbeitszeiten bei atypischen Arbeitsverhältnissen, sowie die Angemessenheit von Arbeitsvergütungen überhaupt. (Q: Kontraste März 2008, S. 6ff)
Aus Sicht der KAB und Betriebsseelsorge ist dazu die Frage bedeutend: Ist der Mensch der Mittelpunkt allen Wirtschaftens? Oder anders ausgedrückt: Dient die hier versprochene und geforderte Flexibilität auch wirklich den ArbeitnehmerInnen oder hauptsächlich der Wirtschaft? Aus den leidvollen Erfahrungen atypisch Beschäftigter gilt es statt „Flexicurity“ „SECURBILITY“ einzufordern: Zuerst die Sicherheit und dann die Flexibilität.