Anwaltschaft für gute Arbeit – geht das in Brüssel?
Die Gruppe traf sich mit sechs EU-Parlamentarier und besuchte die Anwaltschaft für Fair-Trade, das Europäische Anti-Armutsnetzwerk, Corporate Justice, die Vertretung der AK und des ÖGB in Brüssel, die Europäische Gewerkschaft und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Es war ein interessanter Einblick, vor allem auch in die Möglichkeiten, „Gutes Leben für alle“ in die EU-Politik hinein zu bringen.
Wie viel Macht hat das Europäische Parlament?
Eine der wichtigsten Prinzipien einer gerechten und demokratischen Gesellschaft ist die politische Gewaltenteilung. Getrennte Gesetzgebung (Legislative), Vollziehung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) gehören zur Demokratie. Als vierte Gewalt ergänzt heutzutage idealerweise eine kritische Medienlandschaft dieses historische Dreigespann.
Ein Parlament wird gewählt und gehört zur Legislative, doch das Europäische Parlament entspricht nicht ganz dem Bild, das wir von einer Legislative haben. Es kann nämlich keine Gesetze schreiben, erfassen oder anordnen. Das EU-Parlament hat nur die Möglichkeit, die Europäische Kommission (die Exekutive) aufzufordern, sich zu einem bestimmten Thema zu positionieren und diese Positionierung kann – muss aber nicht – in Form von Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse in fast fertiger Form an das Parlament zurück gehen zur Abstimmung.
Haben die Parlamentarier dann gar keinen Einfluss auf den Inhalt dieser Gesetze? Doch! Jede Forderung an die Kommission wird begleitet von einem Sachbericht. Darin enthalten sind Problembeschreibungen, Effekte, Argumente und ausgewogene Standpunkte, worauf die Kommission eine Antwort formulieren muss. Neben den Abstimmungen, die nur an zwei Tagen im Monat stattfinden, ist die Erstellung und die Vorbereitung dieser Sachberichte in Fachausschüssen und Arbeitsgruppen die wichtigste Aufgabe der Parlamentarier.
Wie gehen die besuchten Anwaltsorganisationen vor?
Es ist mühsame Arbeit, der Schar von Wirtschafts-Lobbyisten entgegen zu treten. Das Verhältnis liegt geschätzt bei 1 zu 5. Es braucht Kompromissbereitschaft, Fingerspitzengefühl und viel Geduld, um die Anliegen der Anwaltsorganisationen in wichtige Entscheidungsprozesse hinein zu bringen. Es gibt zwei Wege, Einfluss zu nehmen: 1) Studien, Argumente und Geschichten für die Sachberichten liefern und 2) Koalitionen unter Abgeordneten für wichtige Abstimmungen zusammenzubringen.
Im EU-Parlament gibt es keinen Klubzwang. Sachargumente können also wirklich bei jedem/r ankommen. Nur ein Beispiel: Das Anti-Armutsnetzwerk hat es schon geschafft, wirtschaftsorientierte Abgeordneten auf ihrer Seite zu bekommen. Die verwendeten Argumente? Investieren in die Armen ist gut für die Ökonomie. Arme sparen nicht. Das Geld fließt direkt zurück und kurbelt die Wirtschaft an.
Persönliche Kontakte pflegen zu den Berichterstattern und den Mitgliedern der Ausschüsse, das ist laut Anwaltsorganisationen die erfolgreichste Methode, etwas zu bewegen. Wenn sie Vertrauen zu einem fassen, lassen sie gelieferte Inhalte und Argumente in Berichte und Abstimmungen einfließen.
Muss man in Brüssel sein, um überhaupt Einfluss nehmen zu können?
Nein! Das politische Gewicht der Stimmen im Parlament entscheidet schlussendlich, ob ein Gesetz durchkommt oder nicht. Und das Gewicht der Stimmen bestimmen wir, die EU-Bürger! Auch motivierte Parlamentarier sind machtlos, wenn keine Mehrheit für ihre Anliegen zusammengebracht wird. Derzeit steht es leider mit einer Koalition für ein „Gutes Leben für alle“ nicht gut. Bewusst wählen ist daher die wichtigste politische Aufgabe.
Parlamentarier sind auch Menschen. Wenn sie in ihre Arbeit unterstützt werden (und nicht genervt, wie bei diesen Massenmailaktionen), sind sie durchaus ansprechbar und kooperationsbereit. Geschichten, Fakten oder Statements liefern, die sie auf Twitter teilen können, das funktioniert gut. JedeR PolitikerIn möchte der Öffentlichkeit zeigen, wofür sie/er steht und woran sie/er arbeitet.
Die EU hat nicht die Kompetenz, Steuerreformen einzuleiten oder den Sozialstaat zu transformieren. Manche nationale PolitikerInnen weisen gerne der Schuld ihrer eigenen unpopulären Politik der EU zu. Da sollen wir uns nicht täuschen lassen – wenn es um Steuergerechtigkeit geht oder um die Unterstützung der Schwächsten in unsere Gesellschaft, sollen wir bitte sehr auf Österreich schauen!
Stefan Robbrecht-Roller
Links
Beschlussprozedere in der EU: http://www.europarl.europa.eu/external/appendix/legislativeprocedure/europarl_ordinarylegislativeprocedure_howitworks_de.pdf
Die besuchten Anwaltsorganisationen:
http://www.fairtrade-advocacy.org
https://www.bmeia.gv.at/oev-bruessel/
http://www.ilo.org/brussels/lang--en/index.htm
https://www.ituc-csi.org/?lang=de