Biblischer Schuldenerlass als Impuls für heutige Modelle einer solidarischen Gesellschaft
Biblischer Schuldenerlass als Impuls für heutige Modelle einer solidarischen Gesellschaft
Dem Thema Finanzkrise, Sozialabbau und Alternativen für eine solidarische Gesellschaft ging Prof. Dr. Franz Segbers, a.o. Professor für Sozialethik, Universität Marburg, unter dem Titel „Und vergib uns unsere Schuld(en)…“ beim Sozial-Stammtisch am 25. April 2013 im Linzer Cardijn Haus nach.
Eine Gruppe höchst interessierter TeilnehmerInnen folgte Dr. Segbers in die Vergangenheit:
Das Londoner Schuldenabkommen 1953 gewährte Nachkriegsdeutschland einen 60%-Schuldenschnitt, langjährige Rückzahlungsaufschübe und -fristen und ermöglichte dadurch einen wirtschaftlichen Neuanfang, Erfolgsgeschichte inklusive. Dieses Abkommen war eine politische Entscheidung von 21 Staaten zur Vermeidung eines europäischen Krisenstrudels, aufgrund politischer Vernunft getroffen. Ein Blick z. B. nach Griechenland zeigt heute ein anderes Bild: Schuldenrückzahlung ist oberstes Gebot – die Folgen, wie Sozialabbau, Lohnsenkung, Anstieg von Arbeitslosigkeit und Verarmung der griechischen Bevölkerung, zählen nicht.
Aus Schulden werden Krisen
Trotz aller Rettungspakete steigen die Staatsverschuldungen. Ist das wirklich eine Frage des Über-die-eigenen-Verhältnisse-Lebens? Dr. Segbers zeigt die Zusammenhänge auf: „Staatsverschuldung ist ein Ausdruck dafür, dass die Staatseinnahmen nicht mehr ausreichen, um den staatlichen Aufgaben gerecht zu werden. Statt angemessene Steuereinnahmen von Vermögen(den) einzutreiben, leiht der Staat sich bei den Wohlhabenden Geld und zahlt ihnen dafür auf Kosten der Allgemeinheit attraktive Zinsen zurück. Staatsverschuldung ist eine permanente Umverteilung von unten nach oben.“ Schuldenkrise heißt, dass Geldgeber nicht mehr sicher sind, ihr eingesetztes Vermögen plus Zinsen zurück zu bekommen, eine „Vertrauenskrise“ also. Dieses „Vertrauen der Finanzmärkte“ wieder zu gewinnen ist nun oberstes politisches Ziel. Im Klartext heißt das, Politik orientiert sich an den Bedürfnissen der Finanzmärkte statt an jenen der BürgerInnen. Die Forderungen der Gläubiger haben Vorrang, daher werden staatliche Aufgaben nicht mehr erfüllt bzw. Ausgaben gekürzt, z. B. bei Kranken, Rentnern, Arbeitslosen usw. Diese große Bevölkerungsmehrheit zahlt dadurch also das staatlich geliehene Geld plus Zinsen (die natürlich erhöht sind, wegen der Vertrauenskrise!) an die vermögenden Kreditgeber zurück.
Was eine solche Politik für die Gesellschaft bedeutet lässt sich am Beispiel Griechenland studieren.
Die Bedeutung von „Schuld“ hat eine moralische Konnotation. Wer Schulden zurück zu zahlen hat, ist „schuldig“ – am Ende sind also die BürgerInnen die „Schuldigen“, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Doch wer ist in diesem System tatsächlich wen was schuldig (geblieben)?
Muss man seine Schulden zahlen?
Ein Blick in die Bibel (Dtn.15, 1-11) zeigt mit dem Beispiel des alle 7 Jahre stattfindenden Erlassjahres eine Möglichkeit, wie Sozialgesellschaften funktionieren können. Biblisch wird unterschieden zwischen Notdarlehen und Handelskrediten, die wirtschaftliche Unternehmungen ermöglichen sollen. Wer Geschäfte machen will, soll das Risiko selbst tragen. Doch wer in Not ist, muss die Möglichkeit zu einem Neuanfang bekommen; die Lebensrechte der überschuldeten Menschen haben Vorrang vor Geld- und Kreditinteressen. Die Macht von „reich“ über „arm“ ist zu begrenzen.
Gegenwärtig leiden wir unter einer globalenSchuldenkriste, das ist ein Zeichen eines fehlerhaften Finanzsystems. Der Kapitalismus braucht die Verschuldung, sie ist gewünscht, denn die Vermögenden vermehren ihren Reichtum mithilfe der Rückzahlung samt Zinsen. Daher sollte sich niemand ethisch-moralisch schuldig fühlen, wenn er verschuldet ist. „Schuldig sind die, die sogar dann noch ihren Profit aus der Verschuldung ziehen wollen, wenn sie dadurch jene in Not und Elend stürzen, ohne deren Verschuldung sie niemals hätten so reich werden können.“ betont Dr. Segbers.
Bibel als Impulsgeberin für heute
Die Regel des Ersten Testament hatten bis in die Zeit Jesu hinein Gültigkeit, wie die Schuld(en)-Vergebungsbitte im Vater unser zeigt (… wie auch wir vergeben unseren Schuldnern…) Diese Tradition ist Vorbild für eine Geldwirtschaft, die dem Leben dient.
Es ist Zeit für eine Entscheidung, die politisch vernünftig und ethisch geboten ist: Der Mensch mit seinen Lebensrechten hat Vorrang vor jeglichen Markt- und Gewinninteressen. Eine europäische Schuldenkonferenz ähnlich jener von 1953 wäre die einzig realistische Lösung als Antwort auf die Krise und das offensichtliche Scheitern der Politik, so Dr. Segbers. Erst ein Schuldenerlass würde diejenigen, die tatsächlich schuld an der Verschuldung sind – und an ihr profitiert haben – in die Pflicht nehmen.
Text und Fotos: KAB OÖ/Elisabeth Zarzer
Eine Gruppe höchst interessierter TeilnehmerInnen folgte Dr. Segbers in die Vergangenheit:
Das Londoner Schuldenabkommen 1953 gewährte Nachkriegsdeutschland einen 60%-Schuldenschnitt, langjährige Rückzahlungsaufschübe und -fristen und ermöglichte dadurch einen wirtschaftlichen Neuanfang, Erfolgsgeschichte inklusive. Dieses Abkommen war eine politische Entscheidung von 21 Staaten zur Vermeidung eines europäischen Krisenstrudels, aus politischer Vernunft getroffen. Ein Blick z. B. nach Griechenland zeigt heute ein anderes Bild: Schuldenrückzahlung ist oberstes Gebot – die Folgen, wie Sozialabbau, Lohnsenkung, Anstieg von Arbeitslosigkeit und Verarmung der griechischen Bevölkerung, zählen nicht.
Aus Schulden werden Krisen
Trotz aller Rettungspakete steigen die Staatsverschuldungen. Ist das wirklich eine Frage des Über-die-eigenen-Verhältnisse-Lebens? Dr. Segbers zeigt die Zusammenhänge auf: „Staatsverschuldung ist ein Ausdruck dafür, dass die Staatseinnahmen nicht mehr ausreichen, um den staatlichen Aufgaben gerecht zu werden. Statt angemessene Steuereinnahmen von Vermögen(den) einzutreiben, leiht der Staat sich bei den Wohlhabenden Geld und zahlt ihnen dafür auf Kosten der Allgemeinheit attraktive Zinsen zurück. Staatsverschuldung ist eine permanente Umverteilung von unten nach oben.“ Schuldenkrise heißt, dass Geldgeber nicht mehr sicher sind, ihr eingesetztes Vermögen plus Zinsen zurück zu bekommen, eine „Vertrauenskrise“ also. Dieses „Vertrauen der Finanzmärkte“ wieder zu gewinnen ist nun oberstes politisches Ziel. Im Klartext heißt das, Politik orientiert sich an den Bedürfnissen der Finanzmärkte statt an jenen der BürgerInnen. Die Forderungen der Gläubiger haben Vorrang, daher werden staatliche Aufgaben nicht mehr erfüllt bzw. Ausgaben gekürzt, z. B. bei Kranken, Rentnern, Arbeitslosen usw. Diese große Bevölkerungsmehrheit zahlt dadurch also das staatlich geliehene Geld plus Zinsen (die natürlich erhöht sind, wegen der Vertrauenskrise!) an die vermögenden Kreditgeber zurück.
Was eine solche Politik für die Gesellschaft bedeutet lässt sich am Beispiel Griechenland studieren.
Die Bedeutung von „Schuld“ hat eine moralische Konnotation. Wer Schulden zurück zu zahlen hat, ist „schuldig“ – am Ende sind also die BürgerInnen die „Schuldigen“, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Doch wer ist in diesem System tatsächlich wen was schuldig (geblieben)?
Muss man seine Schulden zahlen?
Ein Blick in die Bibel (Dtn.15, 1-11) zeigt mit dem Beispiel des alle 7 Jahre stattfindenden Erlassjahres eine Möglichkeit, wie Sozialgesellschaften funktionieren können. Biblisch wird unterschieden zwischen Notdarlehen und Handelskrediten, die wirtschaftliche Unternehmungen ermöglichen sollen. Wer Geschäfte machen will, soll das Risiko selbst tragen. Doch wer in Not ist, muss die Möglichkeit zu einem Neuanfang bekommen; die Lebensrechte der überschuldeten Menschen haben Vorrang vor Geld- und Kreditinteressen. Die Macht von „reich“ über „arm“ ist zu begrenzen.
Gegenwärtig leiden wir unter einer globalen Schuldenkriste, das ist ein Zeichen eines fehlerhaften Finanzsystems. Der Kapitalismus braucht die Verschuldung, sie ist gewünscht, denn die Vermögenden vermehren ihren Reichtum mithilfe der Rückzahlung samt Zinsen. Daher sollte sich niemand ethisch-moralisch schuldig fühlen, wenn er verschuldet ist. „Schuldig sind die, die sogar dann noch ihren Profit aus der Verschuldung ziehen wollen, wenn sie dadurch jene in Not und Elend stürzen, ohne deren Verschuldung sie niemals hätten so reich werden können.“ betont Dr. Segbers.
Bibel als Impulsgeberin für heute
Die Regel des Ersten Testaments hatte bis in die Zeit Jesu hinein Gültigkeit, wie die Schuld(en)-Vergebungsbitte im Vater unser zeigt (… wie auch wir vergeben unseren Schuldnern…) Diese Tradition ist Vorbild für eine Geldwirtschaft, die dem Leben dient.
Es ist Zeit für eine Entscheidung, die politisch vernünftig und ethisch geboten ist: Der Mensch mit seinen Lebensrechten hat Vorrang vor jeglichen Markt- und Gewinninteressen. Eine europäische Schuldenkonferenz ähnlich jener von 1953 wäre die einzig realistische Lösung als Antwort auf die Krise und das offensichtliche Scheitern der Politik, so Dr. Segbers. Erst ein Schuldenerlass würde diejenigen, die tatsächlich schuld an der Verschuldung sind – und an ihr profitiert haben – in die Pflicht nehmen.