Politische Bildung und Grenzen der Demokratie
Die Moderatorin Susanne Lammer verriet einleitend, dass Prammer Kursabsolventin des Betriebsseminars ist – Entwicklung politischer Schattenspiele zum Thema Friede (inkl. einer Tour durch ganz Österreich) und zum Thema Frauen vor etwa 27 Jahren.
Als Präsidentin des Nationalrates ist Überparteilichkeit wichtig – das heißt aber nicht, die eigene politische Überzeugung aufzugeben. Nur wer eine eigene politische Überzeugung hat, kann auch bewusst überparteipolitisch arbeiten.
Politische Bildung
Die politische Grundbildung ist in Österreich ist sehr oberflächlich. Nur wenige BürgerInnen wissen, wie die (österreichische) Demokratie funktioniert.
Demokratie ist ein sehr filigranes System. Sie gehört ständig verteidigt und weiterentwickelt. Wo gibt’s demokratische Defizite? Wie bauen wir Demokratie, damit Minderheiten gut mit können?
Am 25. Oktober startet die „Demokratiewerkstatt“ mit dem Ziel, dass es österreichweit keine Schulklasse mehr gibt, die nicht zumindest einen halben Tag im Parlament ist. Dieser Halbtag wird – 6 Tage pro Woche – eine pädagogisch aufbereitete, qualitativ hochwertige Auseinandersetzung sein. Kein Frontalunterricht, sondern ein spielerisches Erleben wie Demokratie funktioniert.
Weiters soll es mehr Jugendparlamente geben. Da Lehrlinge ganz speziell angesprochen werden müssen, ist für sie ein eigenes Programm in Vorbereitung.
Den Jugendlichen soll vermittelt werden, dass es Sinn macht, sich einzubringen, auch wenn er/sie nicht immer Recht bekommt.
Es wird ab 25. Oktober ein Website geben www.demokratiewerkstatt.at oder www.demokratiewebstatt.at (wird demnächst entschieden).
Minderheiten
Eigene Rechte sind dort eingeschränkt, wo die Rechte Anderer zu sehr eingeschränkt würden. Respekt vor Minderheiten ist ein Grundprinzip – also auch der Respekt vor der Opposition. Zur Frage, ob die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein Minderheitenrecht werden soll, meinte Prammer: Wo nichts zu verbergen ist, braucht sich Macht vor Kontrolle nicht zu fürchten.
Demokratieentwicklung
Der Nationalrat ist auch für die Kontrolle des Gesetzesvollzugs zuständig. Der Ausbau der Kontrollinstrumentarien ist der nächste Schritt beim Ausbau der Demokratie. Reichen die Mitbestimmungsrechte? Petitionen – auch von Bürgerinitiativen – nehmen zu. EinbringerInnen von Petitionen haben das Recht, angehört zu werden und eine Antwort zu bekommen. Auch die Durchführung von Volksbegehren sollte vereinfacht werden. Derzeit verfallen nicht behandelte Volksbegehren mit dem Ende der Legislaturperiode.
In der Weiterentwicklung der Demokratie hat niemand den Stein der Weisen! Konkret gab es gerade eine Wahlrechtsreform. Ab nächstem Jahr gilt: Wählen ab 16 und für den Nationalrat kandidieren ab dem 18. Lebensjahr.
Eine Staatsreform liegt vor uns, wobei Prammer hier skeptisch ist. Sie ist nur möglich, wenn jede/r über den eigenen Tellerrand schaut. Quer durch alle Parteien gibt es FöderalistInnen und ZentralistInnen. In diesen Fragen gibt es einerseits innerhalb der Bundesregierung und andererseits zwischen den Ländern eine erstaunliche Einigkeit.
Daher die Skepsis, ob in der Staatsreform was weiter geht. Andererseits meinte Prammer, dass unsere Verfassung nicht so schlecht ist.
Wichtig werden die Kontrollrechte: Wieviel Gewicht bekommt die Volksanwaltschaft, der Rechnungshof und wird es eine Justitzanwaltschaft geben?
Schweizer Modell oder Mehrheitswahlrecht?
Die Mehrheit abfragen heißt nicht, dass es die bessere Entscheidung ist. Zum einem besteht eine gewisse Gefahr des Populismus (Beispiel Abstimmung über Todesstrafe auf Grund eines Amoklaufes). Zum anderen geht es zum Teil um komplexeste Materien.
Es braucht mehr direkte Demokratie, aber nicht so extrem wie in der Schweiz, meint Prammer.
In Bezug auf ein Mehrheitswahlrecht ist Prammer persönlich eine große Skeptikerin. Es würde bedeuten, kleine Parteien auszuschließen. Die jetzige Situation (2 gleich große Lager) gibt es derzeit in mehreren Ländern. Es ist mühsamer und langsamer, aber auch das ist Demokratie. In Koalitionen geht es um Kompromisse. Vielleicht sind mühsamere Entscheidungen auch nachhaltiger?
Bundesrat
Die Meinungen gehen hier durch alle Fraktionen. Prammer: „Wir brauchen ihn – wir sind ein föderaler Staat.“ Viele Gesetze betreffen auch die Länder. Der Bundesrat sollte parallel zur Landtagswahl legitimiert werden. Dort wo Länderkompetenzen betroffen sind, sollte er ein echtes Vetorecht erhalten. Die Landeshauptleutekonferenz ist ein informelles Treffen und viel zu mächtig. Wenn die Regierung mit Landeshauptleuten redet, dann redet die Legislative mit der Exekutive und das ist eine schiefe Ebene.
EU
Über einen EU-Beitritt der Türkei eine Volksabstimmung abzuhalten ist populistisch.
Bereits 1999 wurde die falsche Entscheidung getroffen, der Türkei eine Beitrittsverhandlungsoption zu geben. Dadurch steht der Zug bereits auf den Schienen.
Jetzt das Volk vorzuschieben ist feig. Die EU ist zu feig, es der Türkei zu sagen. Die Türkei ist noch nicht so weit. Mit Kroatien wird die EU 28 Mitglieder haben und völlig mit Integration beschäftigt sein. Prammer will kein Europa der zwei Geschwindigkeiten, sondern eine starke EU als starken Gegenpol zu all den anderen Systemen in der Welt. Wenn es keine starke EU gibt, dann haben wir eine starke NATO – und damit die USA durch die Hintertür.
Demokratisch betrachtet meint Prammer: „In der EU fliegen die Fetzen und das ist gut so!“ Der EU-Vertrag hat keine Schwäche. Was kritisiert wird, ist jetzt schon in Kraft und nicht im neuen Vertrag. Die Einstimmigkeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nicht in Frage gestellt. Außeneinsätze wird es nur nach UN Resolutionen geben. Auch ein neutraler Staat hat in der Vermittlungsarbeit eine Verantwortung!
Im EU Reformvertrag wird es ein Subsidiaritätsverfahren geben. Dies ist ein großer demokratiepolitischer Fortschritt, da die nationalen Parlamente beteiligt werden und ihre direkten eigenen VertreterInnen konfrontieren können.
Zu den Liberalisierungstendenzen meint Prammer, dass die Staaten hier schneller sind als die EU.
Gesetzesflut und Klubzwang
Es kommen wenig neue Gesetze, es sind fast alles Novellen bestehender Gesetze.
Klubzwang gibt es in keinem Fraktionsstatut (lacht). Als sie1997 Ministerin wurde, waren in den Ausschüssen kaum Abgeordnete, sondern fast nur Experten.
Aber das Parlament emanzipiert sich. Immer mehr Abgeordnete entwickeln ein stärkeres Selbstbewusstsein. Irgendwann werden sie nicht mehr mitspielen.
Professionen im NR
Beamte, Selbständige, Bauern und Lehrer können es sich leichter richten, ein Mandat auszuüben. Die Einbeziehung anderer Berufsgruppen ist eine wichtige Angelegenheit.
Migration
Migration, Integration, Islam und Terror haben nichts miteinander zu tun. Es gibt islamistische Gruppen, die hoffentlich mit dem Islam nichts zu tun haben. Niemand darf gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen oder nicht zu tragen.
Das Fremdenrecht war eine Verbesserung, ist aber nicht gut genug und hat enorme Schwächen. Im Regierungsübereinkommen ist eine Evaluierung des Fremdenrechts festgeschrieben. Weiters will Prammer eine Integrationsplattform mit allen Beteiligten.
Wirtschaftsflüchtlinge fallen nicht unter das Asylrecht. Hier gilt es die Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern.
Ortstafelstreit
Ortstafel in Kärnten – Art. 7 des Staatsvertrages. Es gibt keine gesetzlichen Mittel, welche die Umsetzung regelt.
Ortstafel sind vielleicht die Grenzen der Demokratie.
(rg)