Weil man nicht weiß, wie’s ausgeht - Der Kultcharakter des Fußballs
Es ist ein bereits vielfach thematisiertes Phänomen, dass es frappierende Ähnlichkeiten zwischen Fußball und Religion gibt. In beidem findet man inbrünstig vollzogene Rituale, überzeugte Bekenntnisse zur eigenen Fan- oder Glaubensgemeinschaft; in beidem gibt es Erfahrungen von Sinn, aber auch das Hadern mit dem als ungerecht empfundenen Schicksal.
Eine rhetorisch deutliche Parallele zwischen Fußball und Religion springt sofort ins Auge: die bei Fans und Journalisten gleichermaßen beliebte Rede vom „Fußballgott“. Spieler, die wie Götter Fußball zu spielen vermögen, werden auf diese Weise „angehimmelt“.
Es finden sich aber nicht nur Anrufungen der Fußballgottheiten auf dem heiligen Rasen. Es gibt auch Zeugnisse eines Kultes des allmächtigen Fußballgottes oder treffender formuliert, Beispiele für rituell versuchte Manipulationen, um den Fußballgott der eigenen Mannschaft gewogen zu stimmen. So ist Aberglaube, gleich welcher Art, bei Spielern und Fans rund um den Fußball weit verbreitet. Was sagen diese unterschiedlichen Gebrauchsformen der Chiffre „Gott“ über das religiöse Moment im Fußball aus?
Fußballgott/götter
Offenbar muss man unterscheiden: Es gibt nicht nur den einen Fußballgott. Die Fußballreligion kennt viele Gottheiten von unterschiedlicher Art: Es gibt einmal die transzendente Macht, die über den Ausgang des Matches entscheidet. Darüber hinaus gibt es die Spielergötter, sozusagen Wesen zwischen Mensch und Gott, die mit ihrem Spielvermögen Einfluss auf das Spiel nehmen. Die letzte Fußballeuropameisterschaft in Portugal hat schließlich noch eine dritte Art Gottheit hervorgebracht: Otto Rehagel, erfolgreicher Trainer des Sensationseuropameisters Griechenland, wurde von der Presse zum Trainerhalbgott erhoben und fortan „Otto Rehakles“ genannt.
Wie bei dieser Einteilung der Fußballgottheiten ersichtlich, begleitet die Rede vom Fußballgott zugleich ein ironischer Unterton. Es wird deutlich, dass auch die lautes-ten Vertreter der Fußballreligion letztlich nicht an den von ihnen beschworenen Fußballgott glauben. Der „Fußballgott“ ist nichts anderes als eine medial inszenierte Kunstfigur. Und dennoch: Irgendeine Bewandtnis muss es doch haben, wenn religiöse Elemente in solcher Dichte den Kult um den Fußball durchdringen.
Moderne Gesellschaft
Es ist auffällig, dass religiöse Motive im Fußballsport dort Raum greifen, wo eine unerwartete, also der eigenen Machbarkeit entzogene Situation eintritt und bewältigt werden muss.
Gleichzeitig sind gerade Ereignisse außerhalb der Logik menschlicher Zweckrationalität und Vorhersehbarkeit die eigentlich faszinierenden Momente im Fußball.
Wenn die Spielausgänge überraschend sind, die Kleinen gegen die Großen gewinnen, wenn aller Geldeinsatz doch nicht reicht, um die Meisterschaft für sich zu entscheiden, sondern ein Außenseiter den Titel holt, wenn Favoriten gegen Underdogs den Kürzeren ziehen und aus dem Turnier ausscheiden, immer dann entfaltet der Fußballsport seine eigentliche Faszination.
Der legendäre deutsche Bundestrainer Sepp Herberger brachte die Attraktivität des Fußballs auf den Punkt: „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie’s ausgeht.“ Faszination und religiöser Anstrich des Fußballes haben also eine gemeinsame Wurzel: das Scheitern von Machbarkeit und Vorhersehbarkeit. Diese kulturelle Bedeutung des Fußballes ist für die moderne Gesellschaft umso bemerkenswerter, als sie in ihr Zentrum eigentlich das genaue Gegenteil, nämlich das zweckrationale Vorgehen gerückt hat.
Die beiden Leitgrößen der modernen Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, funktionieren nach der Logik von Rationalität, Machbarkeit und Vorhersehbarkeit: Keine wirtschaftliche Investition ohne vorherige Kalkulation, keine technische Innovation ohne rationalem Vorgehen unterliegende Planung. Zweifellos ist auch der moderne Fußball durch die üblichen Mittel der modernen Machbarkeit, nicht zuletzt durch gewaltigen Geldeinsatz gekennzeichnet. Das Faszinierende am Fußball jedoch ist das beispielhafte Scheitern der modernen Machbarkeitsmechanismen. In dieser Hinsicht ist der Kultcharakter des Fußballs als Sinnbild für das Unbehagen zu interpretieren, das moderne Menschen angesichts der Letztgültigkeit moderner Machbarkeit befällt.
Schlussfolgerungen für die christliche Religion
1. Entgegen vieler Tendenzen, die in eine andere Richtung zu weisen scheinen (Stichwort: Gentechnik), sind die Menschen unserer Tage also keineswegs bloß der Illusion unbegrenzter Machbarkeit von Erfolg, Glück oder Heil erlegen. Sie zeigen eine erstaunliche Sensibilität für das Unverfügbare. Diese Mentalität ist auch an ein christliches Menschenbild anschlussfähig, das den Menschen als ein im Letzten verdanktes und nicht bloß seiner Eigenmächtigkeit überlassenes Geschöpf ansieht.
2. Die sich durchhaltende Ironie beim Gebrauch religiöser Bilder und Ausdrucks formen belegt, dass die Fußballreligion mit ihrem theologischen Zentrum, dem Fußballgott, sich als Religion selbst nicht ernst nimmt. Zwar ist es den Fußballanhängern und -anhängerinnen offensichtlich ein Bedürfnis, viele Erfahrungen, die sie im Umfeld des Fußballsportes machen, in den Kategorien von Religiosität zum Ausdruck zu bringen, Fußball wird aber nur wie eine Religion und nicht als eine Religion empfunden.
3. Wird das Verhältnis von Fußballkult und christlicher Religiosität nicht mehr im Modus der Konkurrenz wahrgenommen, dann könnten etablierte kirchliche Formen von Religion sich sogar von der im Fußballkult anzutreffenden Begeisterung inspirieren lassen. Bei einer näheren Betrachtung der liturgieähnlichen Riten beim Fußballsport sind zwei miteinander zusammenhängende Phänomene auffällig: Die Riten der Fußballfans werden inbrünstig und voll innerer Anteilnahme vollzogen. Zugleich versuchen die Fans sich nicht bloß auf die Zuschauerrolle zu beschränken, sondern Einfluss auf das Spielgeschehen zu nehmen.
Rituale leben – zumindest in unseren beteiligungsorientierten Gesellschaften – von der Einbeziehung der Mitfeiernden.
Anders als bei vielen archaischen Religionen und anders als es die klassische Religionswissenschaft häufig beschreibt, wird das Verhältnis zum „Heiligen“ eben nicht nur durch den Abstand bestimmt, sondern auch durch den Wunsch nach Anteilnahme am heiligen Geschehen.
Aus dieser Deutung der religionsähnlichen Verhaltensformen im Fußball lässt sich die Ableitung wagen: Je mehr partizipative Elemente auch die christlichen Liturgien durchdringen, je mehr die Menschen selbst mit ihren Sorgen und Nöten, Freuden und Hoffnungen im liturgischen Vollzug präsent und repräsentiert sind, umso innerlicher, umso ergreifender wird die Feier erlebt.
Artikel von Ansgar Kreutzer, Univ. Assistent an der KTU-Linz, aus unserer aktuellen Ausgabe Information-Diskussion März 2008.
Gesamtausgabe von Information-Diskussion März 2008