Um Gottes Willen Arbeit - Überlegungen zu einer Theologie der Arbeit heute
Nicht mehr das Hohelied der Arbeit singen
Kann es überhaupt eine Theologie der Arbeit geben? Wenn Theologie als Rede von Gott verstanden werden kann, in deren Mittelpunkt die letzten Gründe der Existenz des Menschen stehen, erscheint es folgerichtig, dass dieses Thema in der theologischen Tradition fehlt. Martin Luther hat den Begriff „Beruf“ geprägt und in seiner Bibelübersetzung verwendet. Er wollte die tägliche Tätigkeit der Menschen damit aufwerten und stellt die Arbeit mit religiöser Berufung auf gleiche Stufe. In der Theologie des 20. Jahrhunderts hat – beginnend mit der Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ – ein Umdenken begonnen. Das 2. Vatikanische Konzil hat der katholischen Kirche zur Pflicht gemacht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen, und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten. So rückt die Arbeit als wesentlicher Bereich menschlichen Lebens in den Blick der Theologie.
Was macht die Arbeit mit den Menschen? Die Erfahrung des arbeitenden Menschen der Produktionsgesellschaft ist die Entfremdung, sie empfinden sich als in der Tretmühle, aus der sie nicht herauskommen. Unterdrückung, Monotonie, Einsamkeit, fehlende Zeitautonomie – auf diesem Lebensgefühl ist die Antwort der Theolog/-innen verständlich, die fordern, dass Arbeit den Menschen in seiner schöpferischen Kraft meinen muss. Sie muss ein Mehr an Menschsein ermöglichen, fordert Papst Johannes Paul II. Die evangelische Theologin Dorothee Sölle fordert, dass Arbeit der Menschwerdung dienen muss. Ziel der Arbeit ist es, am Reich Gottes mitzuwirken, es im Hier und Jetzt spürbar zu machen. Die Theologie des 20. Jahrhunderts sieht den Menschen als Mitschöpfer Gottes, an der er seine Ebenbildlichkeit realisiert.
Am beginnenden 3. Jahrtausend ist diese Forderung für viele Arbeitende bereits Wirklichkeit geworden. Doch der Preis ist hoch: die Entgrenzung ist das Problem der Arbeit heute. Sie nimmt kein Ende. Jederzeit und an jedem Ort greift sie auf den ganzen Menschen zu, das Produktionsmittel ist der PC, das Internet. Im digitalen Kapitalismus haben die Erwartungen an die Arbeitskräfte stark zugenommen, sie müssen sich als ganzes Subjekt einbringen, ihre „soft-skills“ werden ökonomisch verwertbar. Die Ergebniskontrolle hat die Prozesskontrolle abgelöst. Wie das Ergebnis zustande kommt, ist nicht mehr wichtig. Dadurch sind subtilere Arbeitsrahmenbedingungen entstanden, die eine Trennung von Arbeit und Leben kaum mehr möglich machen. Wir leben in einer Scheinautonomie. Wo keine Stechuhr mehr ist, da arbeiten die Menschen mehr. Indiz der entgrenzten Arbeit ist die Flexibilität. 85 % der Arbeitnehmer/innen haben bereits flexible Arbeitszeiten. Während die offizielle Arbeitszeit abnimmt, steigt die Zahl der geleisteten Überstunden. Betriebliche Interessen werden verinnerlicht, persönliche Interessen zurückgesteckt. Das Autonomiegefühl lässt viel ertragen. Besonders freiberuflich Tätigen ist die Autonomie überaus wichtig. Sie merken daher nicht, dass aus Fremdausbeutung eine Selbstausbeutung geworden ist. Die Prekarisierung und Flexibilisierung führt auch zu einer Entgrenzung sozialer Sicherheiten. Wir erleben, dass Vollarbeitszeit mit unbefristetem Arbeitsvertrag und festen Arbeitszeiten zur Ausnahme wird, immer mehr Menschen arbeiten Teilzeit und in mehreren Jobs oder in Leiharbeitsfirmen.
Was bedeutet das für eine Theologie der Arbeit? Das Hohelied der Arbeit passt nicht mehr. Wir haben bereits ein Zuviel an Persönlichkeit im Arbeitsprozess. Wir vergessen, dass das Leben mehr ist als nur Arbeit, auch wenn wir uns darin verwirklichen können. Zu hinterfragen ist, was Erfolg bedeutet. Immer öfter sagen junge Menschen, sie würden gerne Familie haben und Freundschaften pflegen, doch die Arbeit lässt ihnen dazu keine Zeit. Sie sind unbeheimatet und entwurzelt. Bilder des Glaubens von guter Arbeit können bei einer Götzenkritik anknüpfen und dies als rhetorisches Mittel der kirchlichen Sozialverkündigung anwenden. Arbeit, der wir uns ganz und gar hingeben, erscheint als die letzte verbliebene Gottheit, an die sich der moderne Mensch klammert. Die allgemeingültige Verdienstlogik gilt es zu durchbrechen. Es ist nicht jeder Mensch seines Glückes Schmied und für sein Versagen selber Schuld. Liebe, Geborgenheit werden geschenkt, Gott liebt den Menschen ohne Bedingungen und Vorleistungen. Inspiration kommt auch von der christlichen Kontemplation und Spiritualität. Eine Theologie der Arbeit muss sich an der Muße orientieren. Die Gottesdienste in einer Gemeinde oder die Allianz für den freien Sonntag, das Engagement für ein bedingungsloses Grundeinkommen und Bündnisse mit anderen Organisationen sind positive Ansätze einer neuen Sichtweise.