Zerfall der Erwerbsarbeit – gute Arbeit als Herausforderung
Guido Lorenz ist unbequem. In zahlreichen Arbeitseinsätzen z.B. als LKW-Fahrer, Müllwerker, als Arbeiter bei Mercedes oder als Leiharbeiter von Manpower hat der Stuttgarter Betriebsseelsorger am eigenen Leib erfahren, wie unwürdig viele Arbeitsplätze in Industrie und Leiharbeitsbranche sind. Im Gegensatz dazu wird er nicht müde, auf gute Arbeit hinzuweisen und sich dafür einzusetzen. Anknüpfend an die Demonstrationen gegen „Stuttgart 21“ in seiner Heimatstadt stellt er die Frage, ob nicht auch die Arbeiter von Wolf & Müller gute Arbeit geleistet haben, die den Auftrag hatten, die Bäume im Schlosspark zu fällen. Sie haben effizient und zielorientiert gearbeitet. Für den Arbeitgeber haben sie gut gearbeitet. Oder die Polizisten, die gegen die unerwünschten Demonstrant/innen vorgegangen sind. Der Innenminister kann sich freuen, dass seine Exekutivbeamten solch gute, weil effiziente Arbeit tun. Was also ist „gute Arbeit“ und wie ist es um sie in einem globalen Kontext bestellt?
Anhand der Wirtschaftsdaten aus der Metall- und Automobilbranche in Baden Württemberg verdeutlicht Guido Lorenz, dass sich die Folgen der Krise unterschiedlich auswirken. Während die Automobilbranche wieder einen Aufschwung erlebt, leidet die Werkzeugindustrie, viele Produktionsstätten haben die Krise nicht überstanden oder die Produktion in andere Länder – vornehmlich China – ausgelagert. Betriebe, die ihre unternehmerische Verantwortung auch für ihre Mitarbeiter/innen wahrnehmen, kommen immer häufiger unter Druck. Wir erleben, so der Betriebsseelsorger, einen radikalen Zerfall der Erwerbsarbeit. Der Preis für diesen Zerfall ist hoch, denn wer Arbeit hat, kommt mit dem zunehmenden Druck immer schlechter zurecht, wer keine Arbeit hat, steht ebenso unter Stress. Armut trotz Arbeit, Hartz IV und andere unwürdige Begleiterscheinungen gehen damit einher. Vor allem sind soziale Beziehungen gefährdet. Aus Kolleg/innen werden Konkurrent/innen. Die Leiharbeit boomt auf Kosten der Stammbelegschaft. Wo Arbeit zur Ware wird, wird sie als Kostenfaktor bekämpft und der Würde und der Rechte beraubt. „In so einem Umfeld kann man Arbeit nicht mehr aus Liebe tun, da wird sie zum Zerrbild“, so Guido Lorenz. Aber: „Wer gute Arbeit demontiert, der riskiert den sozialen Frieden.“
Für Guido Lorenz bietet die Bibel gute Ansatzpunkte, um Parameter guter Arbeit zu formulieren, wie etwa die Sabbatruhe, die wir heute in der „Allianz für den freien Sonntag“ zu schützen haben. In zahlreichen Gleichnissen, in denen Jesus Bilder aus der damaligen Arbeitswelt aufgreift, lassen sich Vorstellungen ableiten, wie Arbeit sein soll. In ihr spiegelt sich bereits das anbrechende Reich Gottes wieder. Eine Anfrage an Arbeit im globalen Kontext! Die katholische Soziallehre hat 1891 mit Rerum Novarum erstmals den Primat des Menschen vor der Wirtschaft festgeschrieben. Seither werden die Päpste nicht müde zu sagen, dass Arbeit Vorrang vor dem Kapital haben muss und das Ziel allen Wirtschaftens das Wohlergehen des Menschen zu sein hat. Arbeit muss so entlohnt werden, dass ein würdiges Leben möglich ist. Daher sind Löhne, von denen man nicht leben kann, Unrecht! Unbestritten ist auch, dass aus der Arbeit Rechte abzuleiten sind, wie etwa Tarifverträge, Recht auf Mitbestimmung und auf Organisierung, Ruhebestimmungen, aber auch – als „ultima ratio“ – das Recht auf Streik!
Gute Arbeit ist kein Widerspruch zu Effizienz und Konkurrenzfähigkeit. Doch sie muss mehr umfassen, z.B.:
• wird dem Einzelnen gerecht
• gibt Lebensfreude
• schafft Sinn
• rrmöglicht Autonomie
• schafft und fördert soziale Kontakte
• gute Arbeit ist mitbestimmte Arbeit
In gute Arbeit muss investiert werden und es braucht eine Kultur der Anerkennung. Exemplarisch sieht Guido Lorenz im herrschenden Jugendlichkeitswahn eine Gefahr für gute Arbeit. Diese Haltung verursacht Leid, „dieser Götze muss vom Sockel gestoßen werden“. Die Forderungen richten sich an vier Adressaten:
1. Politik: Der Neoliberalismus ist nicht zukunftsfähig. Die Politik muss weltweit dafür sorgen, dass er eingedämmt wird.
2. Unternehmensleitungen: In Arbeit muss investiert werden. Betriebe müssen alles tun, um eine positive Arbeitsidentität zu stiften.
3. Tarifpartner: Sie haben es gegen die neoliberalen Angriffe schwer anzukommen. Sie müssen alles tun, um für gerechte Löhne zu kämpfen.
4. Arbeitnehmer/innen: Die Solidarität untereinander hat stark abgenommen. Es braucht wieder solidarische Belegschaften.
Im anschließenden Gespräch hat Guido Lorenz sehr anschaulich von einem Leiharbeitseinsatz in einem Kühlhaus erzählt und dabei das ganze Leid deutlich gemacht: Du bist ein Mensch zweiter Klasse, alles geht nur ums Geld. Die Zeit, da Leiharbeiter/innen eingesetzt wurden, um in Betrieben Spitzen in der Produktion abzudecken, ist vorbei. Immer öfter sind Leiharbeiter ein Ersatz für Stammbelegschaft, Überlassungsfirmen übernehmen das Personalrecruting und umgehen häufig bestehende Rechte (z.B. Einhaltung der Kündigungsfrist). Guido Lorenz sieht durch die Wirtschaftskrise ein Umdenken bei vielen Menschen. Ihm ist wichtig, nicht in einer Problemtrance zu verharren und damit unsere Ohnmacht noch zu steigern, sondern vielmehr ein Konzept des Handelns entwickeln und umsetzen. Dazu braucht es Mut und die Öffentlichkeit. Da sind wir in der Kirche sehr gefordert und als Betriebsseelsorge an wichtiger Stelle.