Arm trotz Arbeit: Prekäre Arbeit ist weiblich
Drei Tage nach dem Gedenktag der "Santa Precaria", der Schutzpatronin für prekär Beschäftigten am 29 Februar und fünf Tage vor dem Weltfrauentag, schilderte Veronika Bohrn Mena uns anhand lebhafter Beispiele und einleuchtender Statistiken welches Ausmaß die Prekarisierung innerhalb von Europa und Österreich mittlerweile erreicht hat.
Ercan ist Paketbote, er trägt einen Overall mit dem großen Posthorn der österreichischen Post. Doch Ercan arbeitet nicht für die österreichische Post. Er arbeitet nicht einmal für das Subunternehmen, das Aufträge von der österreichischen Post annimmt. Ercan ist einer von 300.000 „Neuen Selbstständigen“ in Österreich, ein „Ein-Personen-Unternehmen“. 45 Cent Umsatz erwirtschaftet er pro zugestelltem Paket. 700 Euro bleiben ihm monatlich nach Abzug der Steuern und Sozialabgaben zum Überleben. Meist ist er für dieses Geld länger als 12 Stunden pro Tag auf den Beinen. Wenn er ein Paket zu spät liefert, bedingt durch die Wetterlage oder schwierige Zufahrten, muss er eine Strafe von 50 Euro zahlen.
Ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung in Österreich ist prekär beschäftigt. Dass entspricht 1,3 Millionen Menschen. Sie haben keinen fixen Arbeitsvertrag, keine fixe Dienstzeiten, kein fixes Einkommen, keine Möglichkeit zur Mitbestimmung. Menschen in prekäre Verhältnisse verdienen durchschnittlich um 25 % weniger als „normale“ Angestellte. A-typische Beschäftigung findet sich mittlerweile in jeder Branche. Sogar unter den Gemeindebediensteten der Stadt Wien findet man scheinselbständige Müllmänner.
Prekäre Arbeit ist weiblich!
Die Quote von Frauen in (schlechter bezahlten!) Teilzeit-Jobs liegt mittlerweile bei über 50 %.
A-typische Arbeit ist also jetzt schon für Frauen das gelebte „Normal“. Da sie Teilzeit arbeiten, verdienen Frauen weniger, bleiben daher eher bei den Kindern daheim und bekommen schlussendlich weniger Pension. 40 % weniger haben sie im Vergleich zu Männern, bedingt durch die ungleiche Verteilung der Erwerbsarbeitszeit, obwohl sie – wenn man die unbezahlte Hausarbeit mitrechnet – mehr Stunden am Tag tätig sind!
Die zeitgleich gute und schlechte Nachricht ist, dass die derzeitige Lage am Arbeitsmarkt von der Politik gestaltet wurde. Seit der Finanzkrise 2008 gibt es ständige Deregulierung und Flexibilisierung, was de facto bedeutet, dass ArbeitnehmerInnen über weniger Freizeit und Gestaltungsspielraum verfügen. Die Referentin sieht drei konkrete politische Handlungsmöglichkeiten:
- Zuerst muss die allgemeine Arbeitszeit reduziert werden. Es ist die einzige Möglichkeit, Arbeitszeit – und damit auch Absicherung – fair über beide Geschlechtern zu verteilen!
- Die Mindestlöhne gehören angehoben! 95 % der Menschen leben vom Einkommen aus Erwerbsarbeit. Was Mann/Frau verdient, soll ausreichen, um menschenwürdig zu leben.
- Leiharbeit und Scheinselbständigkeit sollen eingedämmt oder ganz verboten werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass derzeit durchschnittlich 20 % von Firmenbelegschaften nicht fix angestellt sind. Es braucht unbedingt eine (niedrigste!) Maximalquote für geleaste oder per Vertrag beschäftige MitarbeiterInnen.
Die Lage am Arbeitsmarkt betrifft uns alle – wir finanzieren das System. Schauen wir daher nicht weg. Erzeugen wir politischen Druck, um diese Forderungen auch umzusetzen! Gewerkschaftsarbeit für von Deregulierung betroffene Gruppen braucht viel Zeit und Ausdauer, so Veronika Bohrn-Mena in ihren Abschlussworten und deswegen ist es wichtig, ständig dranzubleiben.
Stefan Robbrecht-Roller