Ist gute Arbeit für alle Utopie?
22 Jahre war Hans Jörg Flecker wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien. Seit 2013 ist er Professor für Allgemeine Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Wien. Die Beurteilung des österreichischen Arbeitsmarkts in Zahlen sieht nach Flecker so aus:
- 16 Prozent der Arbeitsplätze in Österreich sind sogenannte minderwertige Arbeitsplätze, die Tätigkeiten gesundheitsgefährdend, schlecht bezahlt, die Berufsaussichten sind gleich Null.
- Etwas mehr als ein Viertel der Arbeitsplätze werden als schlecht bewertet.
- 15 Prozent als sehr gut.
Österreich liegt Flecker zufolge weit hinter Dänemark und den anderen Skandinavischen Ländern zurück. Denn 30 Prozent der Arbeitsplätze in Dänemark werden den besten Arbeitsplätzen zugeordnet und nur 7 Prozent den minderwertigen. Zur Beurteilung herangezogen wurden: Einkommen, sicherer Arbeitsplatz, soziale Absicherung, berufliche Perspektiven, Arbeitsbedingungen und Qualität der Arbeit.
Hans Jörg Flecker ist Professor für Allgemeine Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Wien. © Hannes Mittermayr
Hohe Arbeitslosigkeit senkt indirekt Qualität der Arbeitsplätze
Ursache für das schlechte Abschneiden vieler Arbeitsplätze ist Eintönigkeit. Auch heute noch müssen viele Menschen in kurzen Abständen wiederholende Handgriffe ausführen – trotz gestiegener Produktivität und trotz verbesserter Technik. Pilotprojekte zur Gruppenfertigung von Fahrzeugen in den 80er Jahren, die die Eintönigkeit von Fließbandarbeit verhindern sollten, wurden eingestellt, sobald es mehr arbeitslose Menschen gab. Denn: wenige freie Arbeitsplätze und viele Arbeitssuchende stellen in gewissem Maße eine Erleichterung für Unternehmen dar. Attraktive Arbeitsplätze anzubieten ist nicht mehr so wichtig, da es genug Menschen gibt, die dringend Arbeit suchen, meinte Flecker. Das erzeugt Druck auf die Erwerbsarbeitenden, so Flecker weiter, und verschlechtert insgesamt die Qualität der Arbeitsplätze.
Strukturen beeinflussen Arbeitsplatzqualität
Viele junge Menschen sind von der Prekarisierung betroffen und finden keinen guten Einstieg ins Erwerbsleben. Sie sind u.a. von der finanziellen Teilhabe ausgeschlossen und mit mangelnder Wertschätzung ihrer Arbeit konfrontiert. Das wirkt sich auch negativ auf das Pensionssystem aus. Derzeit gibt es in Österreich den höchsten Stand an Erwerbstätigen, die Realeinkommen steigen aber nicht. Das bedeutet, dass viele keine Beiträge in die staatlichen Versicherungen einzahlen können und damit auch die Pensionen schwerer zu finanzieren sind. Als Beispiel führte Flecker die Privatisierung der Post an: Die ZustellerInnen verdienen weniger und machen diesen Job daher nur auf Zeit, die Wertschätzung für die Tätigkeit dieser Menschen – ein Faktor für gute Arbeit – ist mit der veränderten Struktur gesunken. Von der Veränderung haben nur jene profitiert, die die Dividenden erhalten.
Lange Arbeitszeiten erhöhen Unfallgefahr
Auch die diskutierte Arbeitszeitverlängerung auf 12 Stunden verbessert die Qualität der Arbeit nicht, stellte Flecker klar. "Dadurch ändert sich auch nichts am Arbeitsplatzmangel. Außerdem widerspricht diese Idee dem Wunsch nach hoher Produktivität und der Sicherheit am Arbeitsplatz." Schon nach sechs bis sieben Stunden lässt die Aufmerksamkeit nach. Die Unfallgefahr steigt beträchtlich. Dass diese Diskussion überhaupt geführt wird, schreibt Flecker einer schlechten Verhandlungsposition der ArbeitnehmerInnen zu.
Gute Arbeit für alle wäre möglich
„Der Verdacht liegt nahe“, kritisiert Flecker, „dass mit den diskutierten Verschärfungen am Arbeitsmarkt von den nicht vorhandenen Arbeitsplätzen abgelenkt werden soll und gute Arbeit keineswegs die Wirtschaft schwächt, wie gerne argumentiert wird, sondern die Frage nach der gerechten Verteilung überlagert. Gute Arbeit müsste also nicht für so viele Menschen Utopie sein. Eine Alternative ist möglich.“
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Goebesberger, Lucia (ma)