KAB-Frauen unterwegs: Bildungs- und Begegnungsreise ins Ruhrgebiet
„Es war wirklich eine FRAUEN-Reise, die Frauenthemen und -anliegen aufgegriffen hat und einen spannenden Bogen aufzog von den mächtigen Äbtissinnen bis zu den aktuellen Förderprogrammen für Frauen unter dem Titel 'Rück auf – Aufsteigerin im Revier'“ zog Margit Savernik, Vorsitzende der KAB OÖ, Bilanz. „Am meisten beeindruckt hat mich die Vielfalt der Frauen, sowohl in unserer Gruppe als auch in den Begegnungen“, meinte Margarete Bliem und Christine Weninger (beide NÖ) ergänzte: „Es gab so viele Impulse, diese unglaubliche Buntheit war einfach toll.“
Einblicke in Arbeits- und Lebensrealitäten
Erstes Ziel war Nürnberg, wo wir Betriebsseelsorgerin Barbara März in einem besonderen Lokal trafen. Im „Estragon“ werden Menschen beschäftigt, die aufgrund einer Behinderung oder sonstiger Probleme nicht vermittelt werden können. Sie werden von Fachkräften ausgebildet und dabei unterstützt, wieder im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Barbara März erzählte von den Arbeitsschwerpunkten (Handelsangestellte, FernfahrerInnen) der Betriebsseelsorge und machte uns auch auf die „Straße der Menschenrechte“ aufmerksam, an der auf Säulen verteilt die 30 Artikel der Menschenrechte in verschiedenen Sprachen geschrieben stehen.
Weiter ging es nach Essen ins Kardinal Hengstbach Haus, in dem wir für zwei Nächte Quartier nahmen. Monika Ruhrmann von der KAB Essen begleitete uns an diesen Tagen. Am 24. 10. stand eine Begegnung mit zwei ExpertInnen auf dem Programm. In Vertretung des Oberbürgermeisters informierte uns Bodo Kalveram, der Leiter der MEO Regionalagentur Nordrhein-Westfalen, über lokale Gegebenheiten: Der Großraum Mühlheim Essen Oberhausen hat rund 600.000 Einwohnerinnen, 49 % der Menschen in Beschäftigung sind Frauen, 20,6 % von ihnen sind geringqualifiziert. Arbeitslosigkeit ist ein großes Thema, da in den letzten Jahrzehnten nicht nur die Zechen, sondern auch große Firmen der Textil- und Stahlindustrie ihre Betriebe geschlossen oder verlagert haben. Aktuell liegt sie in der Region bei 10 %, somit sind mehr als 90.000 Menschen Hartz IV-Empfänger. Auf der anderen Seite fehlen vielfach Fachkräfte. Deren Gewinnung und Bindung ist eine der Hauptaufgaben der Regionalagentur, ebenso wie jene von Pflegekräften. In diesem Zusammenhang ist die Mobilität der Menschen ein großes Thema. Herr Kalveram erzählte auch, dass durch den Bergbau enorme Schäden entstanden sind: Das ganze Ruhrgebiet ist um 25 Meter abgesunken, zahlreiche Gebäude mussten geschlossen werden. Der Ausstieg aus dem Braunkohleabbau ist für 2028 bis 2030 geplant und wird weitere zehntausende Arbeitsplätze kosten.
Zu MEO gehört auch Competentia, das Kompetenzzentrum Frau und Beruf, das uns Sandra Spiegel vorstellte. Es unterstützt Klein- und Mittelbetriebe bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften, fördert Frauen in den verschiedenen Lebensphasen, entwickelt Frauenstudiengänge im MINT-Bereich mit entsprechenden Stipendien, Mentoring- und Kinderbetreuungsprojekte usw. um nur einige der Schwerpunkte zu nennen. Es geht darum, Chancen für Frauen zu schaffen. Als Hauptprobleme der Region nennt die Leiterin von Competentia den hohen Fachkräftemangel, niedrige Qualifizierung vor allem bei Frauen und das Fehlen von rund 3000 Kita-Plätzen.
Das Ruhrgebiet steckt mitten im Strukturwandel, wirtschaftlich geht es eindeutig Richtung Dienstleistungsektor. Inzwischen ist die Gegend auch alles andere als bloß graue, schmutzige Industrieregion: Essen war 2010 Kulturhauptstadt und 2017 Grüne Hauptstadt Europas.
Es folgte der Besuch der evangelischen Kreuzeskirche. Lebendig und engagiert berichtete Pfarrer Steffen Hunder von der abenteuerlichen Rettung des vom Verfall bedrohten Gotteshauses. Die Kirche wird nun nicht nur für Gottesdienste und religiöse Feiern genutzt, sondern auch für Vorträge, private Feiern, Seminare und Konzerte. Besonders beeindruckend ist auch die riesige Orgel, die einer der Organisten für uns erklingen ließ. Zur Einzigartigkeit der Kirche tragen auch die Kirchenfenster bei, die von Pop-Art-Künstler James Rizzi geschaffen wurden.
Ein kurzer Spaziergang durch Essen führte uns in das so genannte „Unperfekthaus“, ein ehemaliges Kloster, das jetzt KünstlerInnen und GründerInnen beherbergt. Es ist ein beliebter Treffpunkt zum Mittagessen, für Privatpersonen genauso wie für Geschäftsleute. Auch wir haben das reichhaltige Buffet genossen und kurz noch die vielen Möglichkeiten zur Begegnung, zum Plaudern und Chillen erforscht.
Frauengeschichte(n)
Eine weitere Besonderheit hielt dieser Tag noch für uns bereit: Schloss Borbeck, ehemalige Residenz der Fürstäbtissinnen von Essen. Diese waren mächtige Frauen, verwalteten über 3000 Besitztitel und gestalteten das politische Leben der Stadt Essen über 1000 Jahre lang entscheidend mit. Außerdem hatten sie Sitz und Stimme im Reichstag und durften den Kaiser mitwählen.
Der nächste Tag begann mit einem Spaziergang entlang der Ruhr, bevor wir unter dem Motto „Starke Frauen im Revier“ die Zeche Zollverein besuchten. Diese war die größte und leistungsstärkste Steinkohlenzeche der Welt und die größte Zentralkokerei Europas. Sie wurde 1993 geschlossen und ist seit 2010 UNESCO-Weltkulturerbe. Schon allein die riesigen Förderbänder, Maschinen und Trichter waren äußerst beeindruckend. Im Ruhr-Museum erfuhren wir mehr über die Lebensumstände der Bergleute und ihrer Frauen. Frauen waren für die Kinder, für die Versorgung ihrer Familie mit Nahrungsmitteln, für das Waschen und Instandhalten der Bergmannskluft zuständig, oft hatten sie auch noch Kostgänger zu versorgen – all das war natürlich „informelle“ Arbeit, die keinerlei Rentenanspruch begründete.
„Wie sich die Natur das Zechen-Gelände zurückerobert ist zwar schön, aber auch irritierend. Ich finde es bedrückend, diesen Industrie-Niedergang zu sehen, dieses riesige Werk, das nun nicht mehr in Betrieb ist,“ beschrieb Renate Reichl (OÖ) ihre Gefühle nach dem Rundgang.
Am Nachmittag besuchten wir das Frauenarchiv „ausZeiten“ in Bochum, wo uns eine der Mitbegründerinnen die Bestände erläuterte. Ziel ist, FRAUENgeschichte sichtbar zu machen und zu bewahren. So ist dort die 1. Frauenzeitung Westdeutschland vom 1. 10. 1973 ebenso zu finden wie Zeitungsausschnitte, Plakate, Zeitschriften, Filme, Bücher aus der Zeit der ersten Frauenbewegung in den 1970er Jahren bis zur Gegenwart, in über 1000 Titeln. Auch wer zu spezifischen Themen wie z.B. „Frauen und Nationalsozialismus“ forschen will, wird im Frauenarchiv fündig. Derzeit wird ein digitales Deutsches Frauenarchiv aufgebaut, bei dem die 12 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von „ausZeiten“ mitwirken.
Christentum als Basis für Haltung und Engagement
Weiter ging es nach Köln, wo wir am Samstag, den 26. Okt. im Kettelerhaus die Bundesvorsitzende der KAB Deutschland, Maria Etl und Mechthild Hartmann-Schäfers, Referentin der KAB-Stiftung ZASS (Zukunft der Arbeit und der sozialen Sicherung) trafen. Im Gegensatz zu Österreich ist die KAB hier nicht Teil der Kirche, sie ist ein Verband und hat rund 85.000 Mitglieder. „Arbeit macht Sinn“ ist ihr derzeitiger Schwerpunkt, Digitalisierung, Postwachstum und die Zukunft der Arbeit werden 2020/21 Themen sein. Maria Etl berichtete vom Projekt „Faire Arbeit on Tour“ – radeln und Mitglieder treffen entlang der Ruhr – das sehr gut angekommen ist und stellte uns die gerade anlaufende Kampagne zur Mitgliederwerbung genauer vor. Mechthild Harmann-Schäfers erklärte uns den Zweck der Stiftung ZASS – die KAB unabhängig zu erhalten und Kooperationen mit anderen Organisationen einzugehen – und führt uns ins KAB-Archiv und durch die derzeitige Ausstellung im Haus „The Peace Voices – die Friedensstimmen“.
In der nahegelegenen Agneskirche gedachten wir in einem gemeinsamen Vaterunser Nikolaus Groß, christlicher Gewerkschafter, führendes Mitglied der KAB und Widerstandskämpfer, der 1945 hingerichtet wurde.
„Ich kann mich nicht raushalten“ war auch die Überzeugung der berühmten protestantischen Theologin Dorothee Sölle. Sie verknüpfte in ihren Schriften alltägliche Lebenserfahrungen –insbesondere des Leidens, der Armut, Benachteiligung und Unterdrückung – mit theologischen Inhalten. Politisch war sie in der Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegung engagiert. Wir erfuhren mehr über sie, ihr Leben und das Leben der Protestanten in Köln in der Antoniterkirche, wo Dorothee Sölle von 1968 bis 1972 das „Politische Nachtgebet“ leitete. In dieser Kirche ist auch „Der Schwebende“ zu sehen, eine der berühmtesten Skulpturen von Ernst Barlach.
Anschließend blieb noch etwas Zeit, die Kölner Altstadt zu erkunden, bevor wir gemeinsam im Dom eine stimmungsvolle Abendmesse besuchten.
Die lange Heimfahrt am Sonntag von Köln nach Linz nützten wir noch für Gespräche, Informationsaustausch, singen, einen gemeinsamen Rückblick und ein großes Danke an die Organisatorin und alle, die auf die eine oder andere Weise mitgeholfen haben. „Ich habe mich sehr wohl gefühlt und fahre gerne wieder mit,“ meinte Marianne Bugl (NÖ) und Eveline Lanzerstorfer (OÖ) ergänzte: „Der wertschätzende Umgang, das achtsame Miteinander ist eine besondere Qualität dieser Frauenreisen, ich schätze das sehr!“ Gemeinsam lachen und Spaß haben hatte genauso Platz wie Spirituelles und „besondere kulinarische Erfahrungen“ (© Maria Zeinhofer, OÖ). „Es war keine Reise zu Bauten und Denkmälern, sondern zu den Menschen – zu Menschen die sich engagieren und Visionen haben“, fasst Eva Maria Burghofer (NÖ) ihre Reiseeindrücke zusammen.
Bericht: Eva Lasslesberger und Elisabeth Zarzer
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Fotos: Margarete Bliem, Renate Reichl, Elisabeth Zarzer