Sozialstaat und Auferstehung

Die ganze Bürokratie und die viele Abgaben verhindern eine konkurrenzfähige Wirtschaft. Weil sie in ihrer Blindheit und ihrer Wut darin nichts anders mehr sehen als eine Hängematte für Zugewanderte, beschimpfen und verunglimpfen mehr und mehr Menschen den Sozialstaat. Er wird von manchen zur Gänze ans Kreuz genagelt.
Symbolisch passend zu dieser Verunglimpfung und der Hoffnungslosigkeit am Karsamstag steht dieses Bild der vandalisierten Einstiegsfrage einer interaktiven Wand die seit Anfang April vor der Haustür des Treffpunkts Linz-Mitte steht, zusammen mit einer Ausstellung zum Thema.
„Für mich wäre es schon eine Art Auferstehung, wenn die Menschen sich wieder mehr zum Sozialsaat bekennen würden“, sagt Jasmin Landerl vom Leitungsteam.
Zum Thema „Auferstehung“ haben wir uns über einige Bereiche Gedanken gemacht. Dabei stellten wir uns folgende Fragen: Was wurde bereits zu Grabe getragen? Was befürchten wir, zu Grabe tragen zu müssen? Was befürchten wir, dass noch kommt? Was hoffen wir, dass wieder auferstehen könnte? Was gibt uns Hoffnung im Sinne der Auferstehung?
Bildung
Es gibt in beinahe allen Schulen einen eklatanten Mangel an Lehrpersonal. Die Anzahl der Schüler:innen in immer weniger Klassen steigt. Das hat zur Folge, dass die Schüler:innen nicht die Chance bekommen, ihren Fähigkeiten und Talenten entsprechend gefördert zu werden. Es wird ein System über alle gestülpt. Dass das Ausbildungsniveau dadurch stark sinkt, ist wohl selbsterklärend. Junge Menschen werden mit 12 Jahren voneinander getrennt, hier passiert ein Bruch durch Milieus und Bevölkerungsgruppen. Dazu verstärken soziale Medien das in der Schule vorhandene Mobbing. In der Erwachsenenbildung wird auch gekürzt und die Bildungskarenz abgeschafft oder eingeschränkt.
Unsere Befürchtungen sind, dass der Mangel an Lehrpersonal weiter verstärkt wird und viele aus dem Beruf aussteigen bzw. gar nicht mehr einsteigen wollen. Es könnte weniger gute öffentliche Schulen geben. Ein Ausweichen auf die Privatschulen wird erfolgen und das werden sich viele nicht (mehr) leisten können! Wir befürchten auch, dass das Lehrpersonal keine individuelle Note mehr in ihren Unterrichtsstil bringen darf und dass mehr SchülerI:innen, wie auch Lehrer:innen, ins Burnout fallen. Aber auch die Kinder und ihre Eltern sind burnout gefährdet und sehen in vielen Krisen wenige Auswege mehr.
Der Trend, dass sich nur noch die reichen Eltern die beste Bildung leisten können, wird wahrscheinlich zunehmen.
Die Politik könnte dem mit mehreren Punkten entgegenwirken: Durch die Steigerung der Anzahl der Pädagog:innen, welche die Zeit, Motivation und Kraft haben und denen auch die Möglichkeit geboten wird, gemeinsam mit den Kindern/Jugendlichen an deren individueller Ausbildung zu arbeiten. Dazu muss wieder vermehrt auf die Bedürfnisse unserer Kinder, Jugendlichen und dem Lehrpersonal eingegangen werden! Und Bildung beginnt schon in der Krabbelstube bzw. im Kindergarten und wir sehen das zweite, verpflichtende Kindergartenjahr als sehr positiv. Es braucht weiters endlich eine Ganztags - und Gesamtschule, um Trennungen der jungen Menschen zu unterbinden.
Verkehr & Umwelt
Es gab bereits Einsparungen, die unsere Umwelt betreffen. Die Einschränkungen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln sind hier ein (gutes) Beispiel. Wie bereits von der neuen Regierung angekündigt, wird über eine Absetzung des Klimatickets nachgedacht. Die Klimakleber wurden von der Bildfläche gemobbt und über Klimaziele redet fast niemand mehr. Im Gegenteil, immer mehr Länder treten aus dem Pariser Klimaabkommen aus.
Wir werden nicht mehr knapp, sondern meilenweit die Klimaziele verfehlen. Was das heißt, können wir nur erahnen. Es wird weiterhin zu großen Fluchtbewegungen kommen, da in großen Teilen der Erde keine (über-)lebensfähige Existenz von Menschen mehr möglich ist. Es werden extreme Auswirkungen auf die Umwelt und uns Menschen erwartet. Das alles, weil wir unsere Freiheit und die des Marktes als unantastbar empfinden.
Es gilt die Wissenschaft ernst zu nehmen, die Prognosen zu verstehen und zu handeln. Viele kleine Initiativen, aber auch große Projekte machen uns Mut: z.B. Energiegemeinschaften, Biomärkte und Tauschkreise. Nur wenn der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel mit finanzierbaren Preisen für alle forciert wird, besteht die Möglichkeit, wichtige Aktionen für den Umweltschutz zu setzen.
Gesundheit
Der Personalmangel im Ärzte- und Pflegebereich ist für uns alle seit Jahren immer stärker spürbar, speziell auch in der Kinderpsychiatrie fehlen Geld und Personal. Die Wartezeiten werden überall länger, es gibt zu wenig Kassenärzt:innen und es müssen immer mehr Menschen auf (nicht oder nur knapp finanzierbare) Privatärzt:innen umsteigen.
Die Patientenmilliarde war bekanntlich eine Gag, um die Rechte der Arbeitnehmer:innen einzuschränken.
Wir befürchten, dass eine Privatisierung im Sektor Gesundheit angestrebt wird! Somit werden nicht mehr ALLE Menschen versorgt und die Mehrklassenmedizin wird gefördert. Die Unterschiede der Klassenmedizin gehen immer weiter auseinander.
Wir brauchen dringend eine Regierung, die wieder die Versorgung ALLER Menschen in den Fokus rückt! Wir benötigen eine effektive Evaluierung und Änderungen, die ALLEN Menschen im Land ihre gesundheitliche Grundversorgung garantiert! Desweitern muss die Selbstverwaltung der Arbeitnehmer:innen wieder eingeführt werden und ausgebildete Ärzt:innen bei uns im Land gehalten werden.
Arbeitswelt
In den letzten Jahren fanden viele Verschlechterungen statt. Der 12-Stunden-Tag und die Anhebung des Pensionsalters für Frauen auf 65 Jahre sind nur zwei davon. Eine Gleichstellung der Frauengehälter ist jedoch nicht in Sicht – diese verdienen nach wie 16 % weniger. Die un-bezahlte Care-Arbeit wie Kinderbetreuung, Altersversorgung, Haushalt etc. wird nach wie vor zum größten Teil von den Frauen erledigt.
Gewinne werden privatisiert, Verluste verstaatlicht und wir alle müssen sie stemmen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Die Ausbeutung von Arbeitnehmer:innen passiert auch vor unserer Haustür, z.B. durch Erntehelfer:innen und Paket-/Essenzusteller:innen. Es gibt immer noch nicht genug Demokratie und Mitbestimmungsrecht in den Betrieben. Das Bewusstsein der eigenen "Klasse" ging verloren, Arbeiternehmer:innen treten eher "nach unten" und träumen vom sozialen und beruflichen Aufstieg – aber nur einigen wenigen gelingt das – auf Kosten anderer.
Wir befürchten weitere Verschlechterungen, wie die absurde Idee, den ersten Krankenstands-Tag zu einem Urlaubstag werden zu lassen. Auch der Druck auf arbeitslose Menschen steigt. Gleichzeitig suchen wir händeringend Menschen für jene Jobs, die kaum jemand machen will.
Wir haben die berechtigte Angst, dass unser Sozialstaat immer mehr ausgehöhlt wird!
Hoffnung geben uns die vielen engagierten Betriebsrät:innen und Gewerkschaftler:innen, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Die Sozialpartnerschaft ist gefühlt wieder im Aufwind und wird weiterhin gut gelebt. Gemeinsam mit der Politik wollen wir die Verbesserungen angehen und verteidigen.
Fazit: Ohne Sozialstaat gibt es kein „Gutes Leben für ALLE".
Das Leitungsteam
vom Treffpunkt mensch & arbeit Linz-Mitte