Offener Sozial-Stammtisch zum Thema psychische Gesundheit der Jugendlichen
Seit Corona ist der psychische Zustand von Jugendlichen vermehrt in den Fokus gerückt. Es wird medial darüber berichtet, Studien über die Auswirkungen der Pandemie wurden erstellt sowie Mängel in der Versorgung aufgezeigt und neue Angebote geschaffen. Ob diese dauerhaft in das Angebot der Gesundheitsvorsorge übergehen, wird sich zeigen – zum Beispiel ist das Therapieangebot „Gesund aus der Krise“ einmal bis Ende des Jahres 2024 mittels eines Sonderfördertopfes genehmigt.
Jedoch waren die Probleme und die mangelnde Versorgung, stationär wie ambulant, sowie zu wenige niederschwellige Anlaufstellen für Jugendliche auch vor Corona schon virulent. Gefühle der Angst und der Unsicherheit nehmen in der Gesellschaft seit längerem zu und vervielfältigen sich durch multiple Krisen, die uns nicht zur Ruhe kommen lassen. Das letzte Jahrhundert wird als das „Zeitalter der Neurosen“ bezeichnet, das jetzige als das „Zeitalter der Psychosen“.
Krankmachender Leistungsdruck
Heidemarie Staflinger sieht im Neoliberalismus, der unser aller Leben bestimmt und im Kern auf Leistungserbringung abzielt, einen Grund für die vielen psychischen Herausforderungen. Denn wenn jede:r alles erreichen kann, wenn er/sie sich nur genug anstrengt, ist Versagen folglich selbst verschuldet. Doch auch ein ausbau- und veränderungswürdiges Bildungssystem, zu wenig Schulsozialarbeit/Schulpsychologie, Vereinsamung durch digitale Medien oder eine besondere Belastung, der junge Menschen ausgesetzt sind, wenn sie in der Familie die Fürsorgearbeit übernehmen müssen, nennt sie u.a. als Gründe für diese Entwicklung.
Ein Haus, gebaut auf Sand
Die Psychotherapeutin Michaela Mayer setzt bei den Ursachen in der frühen Kindheit an und bezieht sich auf die Bindungstheorie von Bowlby. Wenn von Anfang an ein haltgebendes, verlässliches Gegenüber fehlt, durch welches man lernt, sich die Umwelt zu erklären und ein stabiles Selbst zu entwickeln, fehlt dieses Fundament ein Leben lang. Es ist, als würde man ein Haus auf Sand bauen. Jene Kinder, die es heute am schwersten haben und Hilfsangebote nur wenig nutzen können, sind großteils in sehr belasteten Familien aufgewachsen. Es bedarf eines Blickes auch auf die Eltern und mehr Angebote für Angehörige.
Haltungs- und Systemänderung
Die Politik ist gefordert auf vielen Ebenen an Schrauben zu drehen, um eine gesamtgesellschaftliche Verbesserung des psychischen Wohlbefindens zu erreichen. Es darf nicht das Motto „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ als Ausrichtung für jegliche Entscheidung herangezogen werden. Entscheidungsgrundlage muss sein, was wir als Gesellschaft brauchen, damit möglichst viele ihr Leben menschenwürdig und gesund verbringen können.
Der Sozial-Stammtisch ist eine Veranstaltungsreihe, die 4 – 5 mal pro Jahr stattfindet und gemeinsam von mensch & arbeit, ÖGB OÖ, Sozialreferat und Bischöfliche Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz organisiert wird.
Elisabeth Zeindlinger