"Denn das Vergessen des Bösen ist die Erlaubnis seiner Wiederholung"
"Schubladendenken"
Mit „Sag ned keynmol det du gehst den letzten Weg“ wurde ein Lied des jüdischen Partisanen Hirsach Glik gemeinsam zu Beginn gesungen. Kulturstadträtin Renate Heitz fand berührende Worte zur Einleitung und bei den Übergängen der Feier. In seiner Rede betonte Bgm. Manfred Baumberger, wie wichtig Initiativen wie diese auch für die Stadtgemeinde Ansfelden sind. Alexander Schinko spannte den Bogen von Ansfelden zu den Todesmärschen insgesamt und wies auf das Rapsfeld neben der Krems hin, Symbol für den Hunger der Getriebenen. „Bei jeder Rast, die sie meist auf freien Wiesenflächen einlegten, griffen die Gefangenen nach allem, was sich als Nahrungsmittel anbot. Das Gras wurde ausgerissen und hastig verschlungen. Würmer und Schnecken wurden gesammelt. Wenn die Marschkolonnen an brachliegenden Feldern vorbeikamen, versuchten manche, sich in unbeobachteten Augenblicken aus der Gruppe zu entfernen, um aus dem Feld vergessene Kartoffeln oder Rüben auszugraben, die sie später roh kauten. Auch wurde immer wieder von 10 bis 15 Meter breiten Streifen am Rand der Rapsfelder berichtet, die die Gefangenen abgegessen hatten.“
Schüler und Schülerinnen der NMS Ansfelden spannten mit dem Lied „Wieviele Straßen auf dieser Welt - How many roads" von Bob Dylan den Bogen zum Hier und Jetzt.
Höhepunkt des diesjährigen Gedenkens und Erinnerns waren die Erzählungen der Zeitzeugin Leopoldine Grünbart, die als siebenjähriges Mädchen einen der Todesmärsche erlebte.
„Ich bin mit meiner Mutter nach Ansfelden einkaufen gegangen, da sagte meine Mutter: Um Gottes Willen, was ist denn das, so viele Leute. Die haben sich mehr oder weniger geschleppt, wurden getrieben, gestoßen. Manche vor dem Geschäft haben versucht, Brot rauszugeben. Die Aufpasser haben sofort mit Maschinenpistolen und Gewehrkolben dreingeschlagen und die Leute angetrieben. Da war nur Hunger und Elend und dann darf man nicht einmal was geben. Die Leute haben nur mehr Fetzen angehabt, die sind drangehängt an den Skeletten, keine Sträflingskleidung. Ein Bild ist ganz tief hängengeblieben: Wie gibt es das, dass man Menschen so behandelt. Eine Frau hat ein Kind mitgeschleppt, gezogen, dann am Arm gepackt und mitgeschleift. Das Kind war vielleicht 5 Jahre, ausgemergelt und dünn, am Ende. Mutter hat gesagt, dass das der Judentransport von St. Florian sei, eine Frau hat gesagt, dass sie bis Gunskirchen getrieben worden sind. Es war ein schreckliches Bild, nur einige ältere Männer, das andere waren hauptsächlich Frauen und Kinder. Wir haben uns alle gefürchtet vor denen, die mitgegangen sind, den Bewachern. Weiter am Zabernberg waren Lacken, wir haben Froschteiche dazu gesagt. Da wollten ein paar trinken, da hat man gleich hineingeknallt. Wir haben die Schüsse gehört. Es hat sich aber niemand viel sagen getraut. Was wäre, wenn uns das auch passiert? Man kann es nicht fassen, dass man wen so traktiert, bis zum Umfallen, beziehungsweise wenn du nicht mehr kannst, kriegst du eine Kugel.“
Als Abschluss des "Gehdenkens 2015" wurden weiße Rosen, die die Kinderfreunde vorbereitet hatten, bei der Gedenktafel an das Brückengeländer gebunden, Zeichen des Erinnerns für die Vorbeifahrenden und Vorbeigehenden.
Gehdenken 2015, veranstaltet von: Wider das Vergessen, NMS und VS Ansfelden, Treffpunkt mensch & arbeit Nettingsdorf, Stadtgemeinde Ansfelden, ÖGB Linz-Land, Mauthausenkomitee Ansfelden, Rote Falken, Mauthausenkomitee Österreich.
„Wider das Vergessen“ ist eine Plattform, die es sich zum Ziel gesetzt hat, der Ermordeten der Todesmärsche zu erinnern und zu gedenken, auf die Todesmärsche, die auch durch das Gemeindegebiet von Ansfelden gegangen sind, hinzuweisen und für rassistische und menschenverachtende Strömungen in der Jetztzeit zu sensibilisieren.
Zeitzeugenabend
Leben mit dem Holocaust – Frank (Miša) Grünwald und Michael Kraus im Zeitzeugengespräch am 6.5.2105 in Haid
Dreimal, fünfmal, manchmal bis zu dreißig Mal am Tag denken Frank (Misa) Grünwald und Michael Kraus an die Gräueltaten, die sie als Kinder bzw. Jugendliche in verschiedenen Konzentrationslagern erlebten.
Berührend aufgearbeitet haben beide ihre Erlebnisse als Zeugnisse von unmittelbarer Eindringlichkeit. Frank (Miša) Grünwald im 2012 erschienen Dokumentarfilm „Miša’s Fugue“ und Michael Kraus hat bereits im Alter von 17 Jahren ein Tagebuch geschrieben, das jetzt 2015 auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. “Meine Erlebnisse während der nationalsozialistischen Zeit habe ich vor allem aus dem einfachen Grund aufgeschrieben, damit ich sie nicht vergesse.“ Der Vater, Dr. med. Karel Kraus wird im Juli 1944 in Ausschwitz-Birkenau ermordet, die Mutter Lotte Krausova 1945 im KZ Stutthof. Ruda Beck nahm sich Michael Kraus von 1945-48 an. Michael Kraus schreibt in seinem „Tagebuch 1942-45. Aufzeichnungen eines Fünfzehnjährigen aus dem Holocaust“ Folgendes: „Mein Leben lang haben mir Rudas Worte geholfen, die er mir zu Weihnachten 1946 in ein Buch über das Konzentrationslager Mauthausen schrieb: „Wenn je Sorgen dein Haupt bedrücken, dann blättere in diesem Buch und du wirst sehen, wie nichtig all das ist im Vergleich zu dem, was du in deiner Jugend durchgemacht hast.““ (S.11)
Frank (Miša) Grunwald wurde im September 1932 in der Tschechoslowakei geboren. Vier Monate später kam in Deutschland Adolf Hitler an die Macht. „Miša’s Fugue“ erzählt die wahre Geschichte von der Reise eines Jungen aus Prag nach Theresienstadt, Auschwitz, Mauthausen, Melk bis Gunskirchen. Er wurde eines der unzähligen Opfer der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Frank kam an die schrecklichsten Orte, begegnete den gefürchtetsten Menschen und war den schlimmsten Ereignissen des Holocaust in Todesmärschen und Todeslagern ausgeliefert, bis er am 5. Mai 1945 seine Befreiung aus dem mörderischen KZ Gunskirchen überlebte. Seine Mutter und sein Bruder werden in Auschwitz ermordet, sein Vater holt ihn aus Hörsching, wohin Frank nach der Befreiung von Gunskirchen gebracht wurde, heim nach Prag. All den Grausamkeiten zum Trotz verwirklichte er im Leben danach seine Vorliebe für Kunst und Musik, die schon während seiner Prager Kindheit in ihm geweckt wurde. Seine tragischen Erinnerungen aber blieben über mehr als ein halbes Jahrhundert seine ständigen Begleiter. Ergreifend berichtet er von Leid, Verlust und Selbstfindung.
Frank und Michael haben sich in Ausschwitz kennengelernt und waren einander Freunde und lebenswichtige Stütze auf den weiteren Wegen nach Mauthausen, Melk, Mauthausen und Gunskirchen. Ohne immer wieder auf Menschen zu treffen, die aneinander menschlich gehandelt haben, wäre ein Überleben nicht möglich gewesen, sagten uns beide im Gespräch. Und Frank betonte sehr, was ihm seine Mutter als Grundhaltung mitgegeben hat: „Selbstrespekt und Respekt den anderen Menschen gegenüber. Handle, wie du behandelt werden willst.“ Dieser Satz von Frank Grünwalds Mutter hat angesichts der Gräuel, die weltweit immer noch stattfinden, weiterhin Aktualität.
Fritz Käferböck-Stelzer