Internationales ökumenisches Seminar: Verschuldung und Entschuldung
Einzelschicksale und Länderkrisen wurden ebenso in den Blick genommen wie psychologische, soziologische, theologische, wirtschaftliche und politische Aspekte.
Ob reformiert, evangelisch oder katholisch motiviert, galt es Erfahrungen in der Sozialpastoral zu teilen, soziale und ökonomische Analyse zu vertiefen und befreiungstheologische Ansätze weiterzuentwickeln. Gearbeitet wurde auf Englisch und Deutsch mit der Unterstützung professioneller DolmetscherInnen.
33 TeilnehmerInnen aus 7 Ländern befassten sich mit dem Thema Ver- und Entschuldung. © mensch & arbeit OÖ
Kleine Schritte zur Entschuldung
Wulf Struck von der Schuldnerhilfe Linz berichtete, wie er mit Menschen erarbeite, welchen kleinen Schritt sie zur Entschuldung machen können. Dabei müsse man eine dicke Haut haben, wenn ständig Mahnungen kommen und die Schulden durch das Zinssystem und Inkassoverfahren binnen kurzer Zeit massiv anschwellen. Aber für Menschen am Existenzminium sei es nicht möglich zu zahlen. Ein erster Schritt sei es, keine zusätzlichen Verschuldungen mehr entstehen zu lassen und einen geringen Betrag zu zahlen, um den guten Willen zu zeigen. Lösung sei aber zumeist die Privatinsolvenz. Dass von unbezahlbaren Schulden in 7 Jahren 10 % zur Rückzahlung kommen und keine neue Verschuldung mehr gemacht werde, sei eine große Herausforderung und Belastung. Viele Menschen betonten, dass sie danach wieder ruhiger schlafen könnten, sich befreit fühlten, so Struck.
Verlust der Würde
Christian Rathner, Journalist und Autor des Buches „Durch die Krise kommt keiner allein“ (Styria), berichtete von seinen Gesprächen mit Menschen in Griechenland. Wenn von der gesamten Erwerbsbevölkerung mehr als ein Drittel arbeitslos ist, zerbröseln Arbeitnehmerrechte. Oft erhalten ein, zwei noch Erwerbstätige eine ganze Großfamilie mit Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln. Der Druck, die Arbeit zu verlieren, ist enorm. Rathner berichtete von einem konkreten Fall: Der Lohn wurde von 1600 € auf 800 € gekürzt, wobei auf dem Konto dann 480 € landeten. Bei der Nachfrage des Mannes habe man ihm angeboten, er könne ja das Dienstverhältnis lösen. Griechenland ist bankrott, es kann nicht zahlen. In einer Kultur der Gastfreundschaft und Freiheitsliebe sei das Schlimmste aber der Verlust der Würde, der damit einhergehe. Die Demütigung eines ganzen Volkes werde auch durch eine einseitige Informationspolitik in den anderen europäischen Ländern verstärkt. Es gehe nicht um eine Krise Griechenlands, sondern um die Auswirkungen der europäischen Krise auf Griechenland, so Rathner.
Verheerende Folgen für ein ganzes Volk
Die griechische Psychologin Katharina Notopoulou musste ihr Kommen kurzfristig absagen, da sie bei der Wahl für Syriza kandidierte. Seit mehreren Jahren arbeitet sie unbezahlt für die Klinik der Solidarität in Thessaloniki. Sie sei die Einzige ihres Maturajahrgangs, die noch in Griechenland lebt, erzählte sie im Vorfeld. Viele junge, gut ausgebildete Menschen gehen ins Ausland. 5 Jahre Austerität hätten das Land ausgesaugt, vieles gehe nur als Tauschhandel und weil Familien zusammenstehen, aber die Erschöpfung sei sehr groß. Der Hunger sei vor allem für die Kinder verheerend.
Unleistbare Lebenskosten
Balazs Lutar arbeitet für die reformierte Kirche in Ungarn in der Delogierungsprävention. 300.000 Haushalte seien zurzeit von Elektrizität abgeschnitten. Allein Wohnungs- und Betriebskosten übersteigen das Durchschnittseinkommen eines Haushalts. Besonders prekär sei die Situation von Kindern in armen Familien. Das erklärte Ziel der Kirche sei hier, dass Familien beisammenbleiben können und nicht auseinandergerissen werden. Die Auslandsverschuldung steigt in Ungarn, Sozialausgaben werden gekürzt, viele neue Steuern eingeführt und die Mehrwertsteuer mit 27 % ist sehr hoch.
Transparentes Insolvenzjahr für Staaten gefordert
Jürgen Kaiser von Erlassjahr 2000, einer Organisation, die sich mit Verschuldung bzw. Entschuldung von Staaten beschäftigt, wies darauf hin, dass es ein transparentes Insolvenzverfahren für Staaten brauche. Auf dem G77-Gipfel habe diese Forderung eine Mehrheit erhalten, wobei Deutschland dagegen gestimmt und Österreich sich enthalten habe. Hier gelte es die jeweiligen Regierungen zum Umdenken zu bringen. Immer wieder gäbe es Entschuldungen, die über den Pariser Club ausgehandelt würden. Das bedeutet, dass allein die Gläubiger entscheiden. Massive Kürzungsmaßnahmen, die den Ländern aufgezwungen werden, zerstören nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Sozialgefüge, wie in Griechenland deutlich werde.
Kreditgabe sei ein Geschäft, von dem beide Seiten profitieren können – aber was passiere, wenn es schiefgehe? Dass nur eine Seite, nämlich die Schuldner, dafür haften müsse, sei unverständlich. Ein Schuldenerlass, damit die Kreditwürdigkeit wieder hergestellt werde, sei zu wenig. Kreditzinsen mit neuen Krediten zurückzuzahlen sei widersinnig. Bei der Insolvenzverschleppung in Griechenland von 2009 bis 2012 hätten alle verloren, Schuldner und Gläubiger, außer jenen, die in der Zeit ihre Privatanlagen abgezogen hätten, so Kaiser. Ein geregeltes Insolvenzverfahren für Staaten mit Einbeziehung aller Schulden, eine unabhängige Entscheidung über den Schuldenerlass auf Grundlage einer unabhängigen Expertise sei unumgänglich.
Schulden als Teil des ökonomischen Kreislaufs
Judith Vorbach von der Arbeiterkammer Oberösterreich argumentierte, dass Schulden Teil des ökonomischen Kreislaufes sind. Das Problem sei, dass Schulden zu Staatsausgaben werden und eine Senkung von Staatsausgaben dann Kürzungen von Sozialmaßnahmen und im Gesundheitsbereich bedeute. Statt von einer Bankenkrise zu sprechen, werde nun von einer Schuldenkrise gesprochen. Der massive Zinsenanstieg von 2010 bis 2012 bei Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien zeige, dass die Konsequenzen zu den Ursachen erklärt würden. Die Schulden seien infolge der Bankenkrisen enorm gestiegen. Die verordneten Kürzungen in den Staaten führen ebenfalls zu mehr Schulden. Die Kaufkraft sinkt, die Privatverschuldung steigt, Unternehmen geraten unter Druck, Steuereinnahmen werden geringer.
Schuldeneintreibung um jeden Preis?
Dieser Teufelskreis lasse sich nur unterbrechen, wenn es eine Lösung gebe, so der Theologe Franz Segbers (Universität Marburg). Wer Geld verleihe, wisse um das Risiko, sonst bräuchte es keinen Zinsenaufschlag. Es gehe daher um die Verantwortung der Gläubiger. Im Mesopotamischen Raum gab es schon vor 3.500 Jahren die Praxis des Schuldenerlasses. Wenn zum Beispiel ein neuer König kam, wurden alle Schulden erlassen. Es konnte aber auch ein Einzelner von all seinen Schulden befreit werden. Die Antwort des Befreiten darauf lautete: „Halleluja“. Das Volk Israel hat diesen Schuldenerlass zu einer regelmäßigen und in der Thora (= jüdische Bibel) geregelten Maßnahme gemacht. Das Sabbatjahr ist als jüdische Praxis in der Geschichtsschreibung bis etwa 100 Jahre vor Christus belegt. Das Gebot aus den 10 Geboten „Du sollst nicht begehren des nächsten Frau, des nächsten Gut“ bezieht sich darauf, dass Schuldknechtschaft grundsätzlich zu vermeiden sei. In der Folge gab es den Versuch, sie zumindest auf maximal 7 Jahre zu begrenzen. Jesus bezieht sich auf diese Praxis im Vaterunser-Gebet. Nach der Bitte um Brot steht die Bitte um Entschuldung („und vergib uns unsere Schuld“). Es geht darum, das Lebensrecht der Armen zu schützen.
Spannend in diesem Zusammenhang seien die Bibelübersetzungen, wo oft aus dem ökonomischen Begriff „Schulden“ erst „Schuld“ und dann „Sünde“ geworden sei. Jesus aber verlange auch den eigenen Verzicht auf Durchsetzung des Gesetzes: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Um vor Gott ohne Schuld zu sein, braucht es den Verzicht darauf, unbezahlbare Schulden einzutreiben, damit auch die Schuldner als Ebenbild Gottes leben können.
Verheerend sei es, wenn aus Schulden moralische Schuld werde und Menschen und Länder in einem Atemzug auch noch schuldig gesprochen werden. Die Forderung, Schulden müssten um jeden Preis bezahlt werden, ist unmenschlich, aber auch ökonomisch unsinnig. Dies zeigt auch der Schuldenerlass 1953 für Deutschland. Bei dem Satz „Die Griechen sind an die Gesetze gebunden, sie müssen zahlen“ ist christlicher Widerstand nötig. Das Recht auf Leben und das Recht auf Freiheit brauchen ein Instrumentarium, hierbei gelte es mit der jüdisch-christlichen Tradition mitzuwirken.
Wie kann es weitergehen?
Geprägt war das Seminar vom konkreten Engagement und der Compassion aller Teilnehmenden, wobei die Referenten aufgrund ihrer durchgängigen Anwesenheit Teil der Gruppe waren. Vorträge, Gruppengespräche, das Erkunden von Linz entlang der Buslinie 27 in Bezug auf Verschuldung/Überfluss sowie eine liturgische Feier, die gemeinsam entwickelt wurde, wirkten stärkend. Oder wie ein Teilnehmer es formulierte: „Ich habe hier wieder zu jener Motivation gefunden, die mich zu meinem Beruf geführt hat.“ Überlegt wurden auch konkrete persönliche und gemeinsame Konsequenzen für die Praxis. Spürbar war beim Abschied eine Atmosphäre von Erlösung und Befreiung.
Der Verein wurde 2011 in Linz gegründet und ist international tätig. Der ehrenamtliche Vorstand wird in der alle zwei Jahre abgehaltenen Mitgliederversammlung gewählt.
Der Verein
- organisiert Seminare und Workshops zu den Themen Theologie, Arbeitswelt und Wirtschaft
- veranstaltet Weiterbildung und Trainings für Haupt- und Ehrenamtliche, die vor Ort mit Menschen in schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen, mit Arbeitslosen und Arbeitssuchenden, Menschen in prekären Lebensverhältnissen,... arbeiten und sich gemeinsam mit ihnen für eine Veränderung engagieren
- veröffentlicht Materialien zur christlich motivierten Kritik an bestehenden sozialen und ökonomischen Verhältnissen, sowie zu beteiligenden Methoden und Aktionen
- stellt Räume für ökumenische Netzwerke und Initiativen zur Verfügung
- erstellt Beiträge zu einer befreienden und kontextuellen, transformativen Theologie
Der Cardijn Verein ist
- unabhängig und lädt Einzelne, Kirchengemeinschaften, Ökumenische Gruppen sowie alle, die mit den Zielen übereinstimmen, zur Teilnahme und Mitarbeit ein
- ökumenisch im Sinne einer überkonfessionellen Zusammenarbeit für Gerechtigkeit, Teilhabe, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften
- den Kernideen Joseph Cardijns verpflichtet in Bezug auf Wert und Würde jedes Menschen, insbesondere der ArbeiterInnen, sowie den Methoden der Beteiligung und Veränderung durch gemeinsame Aktionen