Alles auf Anfang?
Hat Corona die Geschlechterfrage wieder zurückgeworfen? Eröffnet die herrschende Verunsicherung neue Möglichkeiten oder werden alte Muster wieder schlagend, die Frauen kein gutes Leben in allen Dimensionen ermöglichen? Eine Chance kann der Reset dann sein, wenn neue Lebensentwürfe sichtbar werden, denn es braucht für Veränderung auch immer eine Idee, wohin es gehen kann, so die Sozialexpertin Michaela Moser. Sie rief deshalb beim 151. offenen Sozialstammtisch am Montag, den 26. 4. 2021 dazu auf, verschiedenste Lebensentwürfe vor den Vorhang zu holen.
Das traditionelle Familienbild, in dem Männer als Erwerbsarbeiter und Frauen als Zuverdienerinnen oder Hausfrauen gesehen werden, erhält vermehrt Zustimmung. Doch die Referentin vermutet, dass es hier um Zugehörigkeit geht. Was nur allzu verständlich ist, denn besonders in Zeiten der Unsicherheit braucht es einen Orientierungsrahmen und hier bietet sich das traditionelle Rollenbild an. Daher hält Moser es für wichtig, auch andere Lebensentwürfe (wie zum Beispiel gemeinschaftliche Wohnprojekte) vor den Vorhang zu holen, die ebenso Verbundenheit und Gemeinschaft bieten.
Die Zahlen verdeutlichen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die zur Verunsicherung und zu der Suche nach Orientierung führen: Denn die Krise hat besonders dort zu schweren Nebenwirkungen geführt, wo traditionell Frauen tätig sind. Moser bringt es auf den Punkt: Die Pandemie ist eine Care-Krise – eine Krise, in der das Miteinander, die Pflege und Sorge für einander besonders gefordert sind. Ein Zitat aus einer Studie der WU im letzten Jahr macht das allzu deutlich: „Mein Tag hat 36 Stunden.“ Die bereits bekannten Fakten, dass Frauen stärker von Arbeitslosigkeit, Kürzungen, Mehrfach-Belastungen und häuslicher Gewalt betroffen sind, vertieft Moser.
So hat zum Beispiel mehr Homeoffice zur Folge, dass noch mehr Erwerbsarbeit verrichtet werden kann – um den Preis, dass die ständige Anspannung steigt. Homeoffice, das sicherlich in Zukunft verstärkt genutzt wird, hat allerdings zur Folge, dass Frauen wieder weniger sichtbar sind und damit weniger in Entscheidungen einbezogen werden und weniger für Leitungspositionen vorgesehen werden. Denn es ist anzunehmen, dass Frauen die Möglichkeit des Zuhause-Bleibens und Vereinbarens von Beruf und Care mehr nutzen werden als Männer.
Globaler Blick auf Frauenrealitäten
Michaela Moser, Dozentin an der FH in St. Pölten, ordnet diese Situation in die globale Dimension der Geschlechter(un)gerechtigkeit ein: 70 % des Pflegepersonals sind weiblich; Frauen leisten drei Mal so viel Sorgearbeit; die Kinder- und Müttersterblichkeit sowie die ungewollten Schwangerschaften haben sich in der Zeit der Pandemie wieder erhöht; der informelle Sektor ist zurückgegangen; der vermehrten häuslichen Gewalt stehen weniger Schutzmaßnahmen gegenüber. Sie weist außerdem darauf hin, dass die Gefahr für Frauen, im öffentlichen Raum Opfer von Gewalt zu werden, durch die geringere soziale Kontrolle zugenommen hat.
Die Prognosen sind düster. Oxfam spricht von einem Ungleichheitsvirus, der sich in strukturellem Rassismus und Sexismus, Anstieg von Armut und Hunger, schlechterer Infrastruktur und Gesundheitsversorgung zeigt und dem mangelnde Impfstoffe sowie fehlende Regierungsstrategien gegen die Probleme gegenüberstehen. Auch die Schere bei der Vermögensverteilung ist weiter aufgegangen. Sehr anschaulich gemacht am Vermögenszuwachs von Jeff Bezos, der seinen 876.000 Mitarbeiter*innen jeweils einen Bonus von 105.000 US-Dollar auszahlen könnte.
Es braucht eine "Care-Revolution"
Die Hoffnung wäre, so Moser, die sich auf eine Arbeit von Katharina Mader von der WU Wien bezieht, dass die Bedeutung von Sorgearbeit erkannt wird und sie aufgewertet wird – ein anderes Zukunftsszenario ist, dass sie ins Private gedrängt wird oder dass alles beim Alten bleibt. Letzteres hält Moser für das wahrscheinlichste Szenario. Daher ist es höchste Zeit für eine Care-Revolution und es ist eine gute Zeit für Feminismus, der sich an gelingenden Sorgebeziehungen und der Belastbarkeit von Ökosystemen orientiert.
Der Weg zur Care-Revolution führt über das Sichtbarwerden der ganzen Arbeit; das Bewusstwerden und Achten der Abhängigkeit; die Stärkung der Demokratie; einem Perspektivenwechsel dahin, dass genug für alle da ist; die Widerständigkeit des „Anderssein“, das es ermöglicht ein lebensdienliches System zu entwickeln; dem Teilen und Nutzen von gemeinschaftlichen Gütern und der Befreiung vom Diktat des Eigentums und für ein Verständnis von Kosmopolitismus, denn Care kennt keine Grenzen.
So beschreibt Moser die Schritte zu einem guten Leben für alle in allen Dimensionen. Die Zeit ist reif!
Lucia Göbesberger
Der "offene Sozialstammtisch" ist eine Kooperationsveranstaltung von Kath. ArbeitnehmerInnen Bewegung OÖ, Treffpunkt mensch & arbeit Linz-Mitte, Cardijn Haus, ÖGB OÖ Bereich Bildung und Zukunftsfragen,Sozialreferat und Bischöfliche Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz. Die Veranstaltungsreihe wird gefördert von der österreichischen Gesellschaft für politische Bildung. |