Für ALLE hat sich „ARBEIT“ verändert!
Im Leben eines Menschen nimmt Arbeit, bezahlt oder unbezahlt, einen wesentlichen Platz ein. Der Lockdown der letzten Wochen hat den gesamten Alltag gravierend verändert – mit unterschiedlichsten Auswirkungen auf die Arbeitswelten der Menschen. Viele können oder dürfen nicht mehr arbeiten gehen, sind arbeitslos, freigestellt oder in Kurzarbeit, andere werden mehr denn je gebraucht und müssen „einihackln“ bis zum Anschlag – und darüber hinaus.
BetriebsseelsorgerInnen und ReferentInnen der Katholischen ArbeitnehmerInnen-Bewegung (KAB) hören viel von den Lebensrealitäten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, der „neuen Selbständigen“ und der Arbeitssuchenden – in vielen Telefonaten, E-Mails oder Chatgesprächen halten sie Kontakt und fragen nach, wie es ihnen geht. Dadurch ergibt sich ein sehr differenziertes Bild von den aktuellen Arbeits- und Lebenswelten (und wenig davon gleicht der medialen Darstellung von „Alles im Griff“). Am 7. Mai 2020 wurden bei einer gemeinsamen Online-Besprechung von über 40 MitarbeiterInnen diese aktuellen Situationen in der Arbeitswelt reflektiert und Konsequenzen daraus für die Seelsorge im Bereich mensch & arbeit gezogen.
Realität zur Sprache bringen
Mag.a Michaela Pröstler-Zopf, Leiterin des Bereichs mensch & arbeit und der Betriebsseelsorge der Diözese Linz, weiß, dass in Gesprächen genaues Hinhören und Nachfragen wichtig ist: „‚Mir geht es eh gut‘ ist meist nur der erste Satz. Im Nachfragen zeigt sich bei den GesprächspartnerInnen Sorge, Irritation, Unsicherheit, Überforderung, Ausgebremst-Fühlen … So hat mir ein Linienbus-Chauffeur, der weiterhin seine Touren fährt, gesagt: ‚Für mich hat sich nichts geändert‘. Um dann im Gespräch nachzusetzen: ‚… es ist nur alles anders geworden!‘. Kein Wunder: Er ist wochenlang ohne Fahrgäste unterwegs, allein im Bus. Wo bleibt da der Sinn seiner Arbeit?“
Ein anderer Aspekt ist die Frage der Wertschätzung. Systemrelevante Berufe erhielten vor allem am Anfang viel Lob. „Die Arbeit habe ich immer gerne gemacht, aber unter diesen Umständen macht sie weniger Spaß als zuvor. Doch die spürbare und auch kommunizierte Dankbarkeit vieler Kundschaften wirken dem etwas entgegen. Manchmal überkommt einen sogar das berührende Gefühl von Gänsehaut“, erzählte eine Supermarkt-Verkäuferin*) in den ersten Apriltagen. Pröstler-Zopf dazu: „Dieser Applaus wird jedoch zur Ironie, wenn weder Rahmenbedingungen noch Entlohnung dem gesellschaftlichen Wert dieser Arbeit entsprechen.“
Als funktionierendes Modell wird auch die Verlagerung von (Büro-)Arbeit und Schule in den privat-familiären Bereich dargestellt. Dass die Notwendigkeit der Vereinbarkeit von Homeoffice und Homeschooling neben aller Versorgungsarbeit für viele Familien – und dabei vor allem für Frauen! – nur mit einem gewaltigen Kraftakt bewältigt werden kann, erzählen viele von ihnen. „Ich arbeite in der Nacht, weil nur da der Computer für mich frei ist“, meint eine Büroassistentin. „Die Illusion von gleichen Chancen und Rechten zwischen den Geschlechtern löst sich gerade in Luft auf.“
Quer durch alle Arbeitsmilieus und ihre je speziellen „Corona-Bedingungen“ wird eine große Sehnsucht der Menschen nach Wertschätzung und wahrnehmen ihrer Lebensrealitäten deutlich.
Hingehen, zuhören, stärken und positive Veränderungen anstoßen – das sieht das im Bereich mensch & arbeit tätige Team als einen wesentlichen Teil der Aufgabe von Seelsorge in der Arbeitswelt, eine Aufgabe von Kirche insgesamt. Theologin Pröstler-Zopf: „Krise ist nicht automatisch eine Chance. Um diese Ausnahmesituation und einen schrittweisen Eintritt in eine alte-neue – gute! – Arbeitsnormalität ‚hinzukriegen‘, braucht es unsere Gestaltungskraft, unseren Einsatz für lebensfördernde Bedingungen.“
Hoffnung heißt, Perspektiven haben
Die kirchlichen MitarbeiterInnen im Bereich mensch & arbeit beobachten daher auch mit Sorge die Entwicklung der Spaltung in der Arbeitswelt. Die Krise wirkt wie ein Brennglas: Wer es „vor Corona“ schwer hatte, gehört auch jetzt zu den Gebeutelten. Pröstler-Zopf betont: „Entgegen der Tendenz von Entsolidarisierung und Privatisierung halten wir SeelsorgerInnen es für nötig, als Gesellschaft existenzsichernde Bedingungen für alle zu schaffen – durch ein System einer gerechten Verteilung von Arbeit, Einkommen, Bildung etc. Biblisch gesprochen: dass wir die Menschen ‚nicht verloren gehen lassen‘. Denn ein guter Platz in der Welt der Erwerbsarbeit – ‚Gute Arbeit‘ – sichert nicht nur den Lebensunterhalt. Menschen erleben sich dadurch als sozial integriert, ihre Arbeit gibt ihnen Selbstbewusstsein und Sinn – sie erleben sich als Teil eines größeren Ganzen und dieses Teilhaben ist mit seiner positiven Perspektive ein Vorgriff auf das ‚Reich Gottes‘, das uns allen verheißen ist.“
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*) ein Zitat aus: „Wir sind keine freiwilligen HeldInnen", Gedanken von Šeherzada Kekic, Verkäuferin bei Billa, veröffentlicht unter Kurzreportagen aus der Arbeitswelt, siehe: https://www.dioezese-linz.at/site/menscharbeit/themen/kurzreportagen